Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung einer Maßnahme der Ausbildung von einer Weiterbildungsmaßnahme
Orientierungssatz
1. Die Abgrenzung einer Eingliederungsmaßnahme als einer Maßnahme der Ausbildung von einer Weiterbildungsmaßnahme ist unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme ausschließlich nach objektiven Kriterien vorzunehmen.
2. Entscheidend ist nicht das Ziel der Maßnahme, sondern der Weg, auf dem das Ziel erreicht werden soll. Bei der Gesamtbetrachtung der konkreten Maßnahme ist entscheidend, ob Vorkenntnisse eines Lernwilligen verwertbar sind und die Ausgestaltung der konkreten Ausbildung mitbeeinflusst haben.
3. Bei der Ausbildung eines Industriekaufmanns zum Physiotherapeuten handelt es sich nicht um eine Maßnahme der Weiterbildung, sondern um eine Zweitausbildung. Die schulische Ausbildung von drei Jahren setzt einen mittleren Bildungsabschluss voraus. Besondere berufliche Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Für eine solche Zweitausbildung kommt allenfalls eine Förderung nach §§ 60 ff. SGB 3, nicht aber nach § 77 SGB 3 in Betracht. Eine Zweitausbildung i. S. von § 60 Abs. 2 SGB 3 kann nicht nach § 16 Abs. 1 S. 2 SGB 2 gefördert werden.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 31.05.2011 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, seine Umschulung zum Physiotherapeuten zu fördern.
Der am 00.00.1975 geborene Antragsteller absolvierte eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Nach Abschluss der Ausbildung im Jahr 2003 war er durchgehend arbeitslos. Der Antragsteller bezieht mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Durch Bescheid vom 11.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2009 lehnte die Rechtsvorgängerin des Antragsgegners den Antrag des Antragstellers auf Förderung der Umschulung zum Physiotherapeuten nach § 16 SGB II ab. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage, S 3 (15) AS 179/09.
Am 19.05.2011 hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, seine Umschulung zum Physiotherapeuten zu fördern.
Durch Beschluss vom 31.05.2011 hat das Sozialgericht Münster den Antrag abgelehnt.
Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 16 Abs 1 Satz 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland (vom 2.3.2009, BGBl I 416) kann die Agentur für Arbeit als Leistungsträger i.S.v. § 6 SGB II zur Eingliederung in Arbeit nur die im Dritten Kapitel, im Ersten und Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels, im Fünften Kapitel, im Ersten Abschnitt des Sechsten Kapitels und die in den §§ 417, 421f, 421g, 421k, 421o, 421p, 421q und 421t Abs 4 bis 6 des SGB III geregelten Leistungen erbringen (vgl. zum Entschließungsermessen: BSG Urteil vom 01.06.2010 - B 4 AS 63/09 R = juris Rn 14, 17). Daher kann der Leistungsträger Leistungen zur beruflichen Weiterbildung i.S.v. § 77 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) als Leistungen nach dem Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III - nicht aber berufliche Ausbildungsleistungen i.S.v. § 60 SGB III, die im Fünften Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III geregelt und damit nicht von § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II erfasst sind - als Eingliederungsmaßnahme gewähren (vgl. hierzu BSG Urteil vom 30.08.2010 - B 4 AS 97/09 = juris Rn 23).
Die Qualifizierung einer Maßnahme als Aus- oder Weiterbildung ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Abgrenzungskriterien vorzunehmen. Maßgeblich für die Beurteilung ist nicht die Bezeichnung als "Ausbildung"; die Abgrenzung ist ausschließlich unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Kriterien vorzunehmen. Entscheidend für die Abgrenzung ist nicht das Ziel der Maßnahme, sondern der Weg auf dem das Ziel erreicht werden soll. Weiterbildungsangebote sollen ...