Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenübernahme für ein nach § 109 SGG eingeholtes Gutachten. Befundbericht. Sachverständigenbeweis. Beweiswert

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Übernahme der Kosten für das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten auf die Landeskasse ist grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn das Gutachten für die Entscheidung oder den sonstigen Ausgang des Rechtsstreits von Bedeutung war. Das ist nicht schon der Fall, wenn der von Amts wegen ermittelte Sachverhalt durch den nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen lediglich "erweitert" worden ist. Voraussetzung ist vielmehr, dass der Sachverständige dem Gericht neue - rechtserhebliche - medizinische Erkenntnisse verschafft.

2. Befundberichte haben als Mitteilung des behandelnden Arztes nur einen minderen Beweiswert. Dem Sachverständigenbeweis kommt der höhere Beweiswert zu. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist in Feststellungsverfahren nach dem SGB 9 grundsätzlich mittels Sachverständigenbeweis aufzuklären.

3. Die Kosten für das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten sind zu übernehmen, wenn das SG lediglich Befundberichte einholt und sich dem gebotenen Sachverständigenbeweis entzieht. Maßstab hierfür ist, ob das SG allein aufgrund der eingeholten Befundberichte die Klage hätte abweisen dürfen oder aber ein nur auf die Auswertung von Befundberichten gestütztes Urteil zur Aufhebung und Zurückverweisung führen muss.

 

Gründe

Die statthafte und auch im übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Die Kosten für die Gutachten der Sachverständigen S. und B. sind auf die Landeskasse zu übernehmen.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Beteiligte, auf dessen Antrag ein bestimmter Arzt gutachterlich gehört wird, die Kosten vorzuschießen und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig zu tragen. Eine demgegenüber "andere Entscheidung des Gerichts", die also den Kläger von der Pflicht befreit, Begutachtungskosten endgültig zu tragen, ist grundsätzlich nur gerechtfertigt, wenn das Gutachten für die Entscheidung oder den sonstigen Ausgang des Rechtsstreits von Bedeutung gewesen ist (vgl. Peters/Sautter/Wolf, SGG, 4. Auflage, § 109 II/74-74f; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 109 Rdn. 16a mwN). Das ist nicht schon dann der Fall, wenn der von Amts wegen ermittelte Sachverhalt durch nach § 109 SGG gehörte Sachverständige lediglich "erweitert" worden ist (Senatsbeschluss vom 23.06.1998 - L 10 SB 4/98 SB -). Voraussetzung ist vielmehr, dass der Sachverständige dem Gericht neue - rechtserhebliche - medizinische Erkenntnisse verschafft (Senatsbeschlüsse vom 15.08.2000 - L 10 B 8/00 SB - und vom 04.06.1999 - L B 3/99 SB -). Daran fehlt es, wenn durch das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten nur das bestätigt wird, was aufgrund der von Amts wegen eingeholten Gutachten zur Überzeugung des Gericht schon feststeht (Senatsbeschluss vom 01.03.2002 - L 10 B 1/02 SB -); auch eine andere und für den Kläger günstige GdB-Bewertung rechtfertigt es nicht grundsätzlich, die Kosten für das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten auf die Landeskasse zu übernehmen (Senatsbeschluss vom 05.11.1999 - L 10 B 9/99 SB -).

Die Gutachten der Sachverständigen S. und B. haben dem SG im Ergebnis neue und recht erhebliche Erkenntnisse vermittelt. Zutreffend hat das SG zwar ausgeführt, dass der Sachverständige S. den "Gesamt-GdB" fehlerhaft eingeschätzt hat. Indessen rechtfertigt dies es vorliegend nicht, von einer Kostenübernahme abzusehen. Das SG hat von Amts wegen keinen Sachverständigenbeweis erhoben (§ 106 SGG). Hiervon kann es u.a. absehen, wenn im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten als Urkundsbeweis ausreichen, um die relevanten Fragen zu beantworten (vgl. BGH NJW 1995, 1294). So ist das SG indes nicht verfahren. Es hat vielmehr Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und aus diesen hergeleitet, dass das Klagevorbringen keinen Erfolg haben kann.

Das mag zwar im Einzelfall zu zutreffenden Ergebnissen führen, kann auch Grundlage von Vergleichsvorschlägen sein, rechtfertigt es aber grundsätzlich nicht, von einer weiteren Sachaufklärung durch Sachverständigengutachten nach § 106 SGG abzusehen. Denn Befundberichte haben als Mitteilung des behandelnden Arztes im Vergleich zu einem Sachverständigengutachten (§§ 402 ff ZPO) grundsätzlich einen nur minderen Beweiswert. Es besteht ein grundlegender Unterschied in der prozessualen Stellung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und eines zu Auskunftszwecken herangezogenen behandelnden Arztes. Dieser steht zu seinem Patienten in einem durch (idealerweise) geprägten besonderen Vertrauensverhältnis, aber auch in einer gleichermaßen durch pekuniäre Interessen geprägten Beziehung. Demgegenüber ist der gerichtliche Sachverständige kraft Gesetzes verpflichtet, sein Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten (§ 410 ZPO). Eine Verletzung dieser Pflichten kann erhebliche strafrechtliche Folgen nach sich ziehen (§§ 153, 154, 163 Abs. 1 StGB). Deswegen kommt der Sachverständi...

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