Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Anforderungen an die Begründetheit einer Anhörungsrüge. Verletzung des Gebots des rechtlichen Gehörs. Asylbewerberleistung. Analogleistung nach § 2 AsylbLG. Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Grundleistung nach § 3 AsylbLG. einstweiliger Rechtsschutz. keine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 S 1 GG. Verweisung auf Verfassungsbeschwerde und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das BVerfG. Rechtsschutzgarantie
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 S 1 GG kommt in Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in aller Regel nicht in Betracht. Denn eine zügige Klärung der Verfassungsmäßigkeit des anzuwendenden einfachen Rechts in einem Zeithorizont, welcher der Dauer eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz entspräche, könnte durch ein solches Verfahren der konkreten Normenkontrolle nicht erreicht werden.
2. Das Gericht, das im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer anzuwendenden einfach-gesetzlichen Norm hat, kann insbesondere nicht selbst beim BVerfG (im Rahmen einer Vorlage nach Art 100 Abs 1 S 1 GG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG stellen; denn es ist nicht Beteiligter des Verfassungsrechtsstreits.
3. Ist das für verfassungswidrig gehaltene einfach-gesetzliche Recht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes deshalb einstweilen anzuwenden, verbleibt dem Antragsteller einzig die Möglichkeit, im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz selbst als Beteiligter des Verfassungsrechtsstreits eine einstweilige Anordnung des BVerfG nach § 32 BVerfGG zu beantragen.
Orientierungssatz
1. Die Anhörungsrüge des § 178a SGG setzt zu ihrer Zulässigkeit voraus, dass eine gerichtliche Endentscheidung ergangen ist und das Gericht den Anspruch des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
2. Zur Begründetheit einer Anhörungsrüge bedarf es einer in sich schlüssigen Darstellung, dass trotz der Grenzen des Prozessgrundrechts eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise vorliegt (vgl BSG vom 11.9.2009 - B 6 KA 1/09 C).
3. Auf eine unterschiedliche Lesart des Gesetzes - hier § 2 Abs 1 AsylbLG - kann sich eine Anhörungsrüge nicht gründen. Ebenso wenig begründet eine bloße Rechtsirrigkeit, sofern sie überhaupt vorliegt, die Anhörungsrüge.
Tenor
Die Anhörungsrüge der Antragsteller wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 01.06.2010 - L 20 AY 4/10 B ER hat der Senat die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 15.12.2009 zurückgewiesen. Mit diesem Beschluss hatte es das Sozialgericht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anstelle der bezogenen Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren. Auf den Beschluss des Sozialgerichts und auf den Beschluss des Senats wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Gegen den am 10.06.2010 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller mit Schriftsatz vom 20.06.2010, der am 22.06.2010 bei dem Landessozialgericht eingegangen ist, Anhörungsrüge erhoben. Wegen der Begründung dieser Rüge wird auf den Schriftsatz vom 20.06.2010 Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin sieht keine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragsteller; wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 20.07.2010 Bezug genommen.
II.
Nach § 178a Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn (Nr. 1.) ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und (Nr. 2.) das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Abs. 1 Satz 1). Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt (Abs. 1 Satz 2).
1. Die Anhörungsrüge ist zulässig. Insbesondere richtet sie sich gegen eine Endentscheidung i.S.v. § 178a Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn Endentscheidungen sind grundsätzlich auch unanfechtbare Beschlüsse, die im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ergehen. Eine Ausnahme besteht nur, wenn es noch zu einer Korrektur der vorläufigen Entscheidung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens kommen kann (§ 86b Abs. 1 Satz 4 SGG). Dies ist jedoch zu verneinen, falls die Entscheidung faktisch zu (bis zur Entscheidung in der Hauptsache) endgültigen Verhältnissen führt (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 178a Rn. 3a m.w.N). Da bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mit einer sozial- oder landessozialgerichtlichen Änderung der bisherigen Regelung der streitigen Leistungsansprüche ...