Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges. Angewiesensein auf die Benutzung. Fehlen zumutbarer Alternativen

 

Orientierungssatz

1. Das Angewiesensein auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges als Voraussetzung für die Gewährung von Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges nach § 8 BSHG§47V ist im Hinblick auf das bei jeder Eingliederungsmaßnahme zu prüfende Merkmal der Notwendigkeit (§ 14 Abs 1 SGB 9) nur zu bejahen, wenn das Kraftfahrzeug als grundsätzlich geeignete Eingliederungsmaßnahme unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele nach § 53 Abs 3 SGB 12 ist.

2. In welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner Wünsche (§ 9 Abs 2 SGB 12). Es gilt mithin ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.03.2017; Aktenzeichen B 8 SO 2/16 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.03.2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt (im Wesentlichen) die Zuerkennung einer Beihilfe zur Anschaffung eines Kfz mit Automatikgetriebe nach den Vorschriften des Sechsten Kapitels des SGB XII.

Der 1962 geborene Kläger wohnt alleine in einer Mietwohnung (erste Etage eines Mehrfamilienhauses ohne Aufzug). Die Wohnung befindet sich in städtischer Lage im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten und der Beigeladenen. Ein Wohnraum ist mit zwei Krankenliegen und verschiedenen medizinischen Gerätschaften ausgestattet. In der Küche befindet sich ein Moorbaderwärmer.

Der Kläger ist Eigentümer eines Opel Corsa-B (Erstzulassung 1997) mit Schaltgetriebe ohne Lenkhilfe.

In gesundheitlicher Hinsicht ist er eingeschränkt durch psychische Störungen (dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, soziale Phobie, spezifische Phobie (Klaustrophobie) mit begleitenden Panikzuständen, Anpassungsstörung), ein chronisches Wirbelsäulensyndrom, ein inkomplettes Querschnittsyndrom mit Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten bei ataktischer Gangstörung und Potenzstörung sowie eine Funktionsstörung des rechten Schultergelenks. Vom Versorgungsamt wurden ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Merkzeichen "G" zuerkannt. Dabei wurden die körperlichen Einschränkungen mit einem Einzel-GdB von 50 (Querschnittsyndrom), 20 (Wirbelsäulensyndrom) und 10 (Funktionsstörung des Schultergelenkes) in Ansatz gebracht.

Seit August 1998 steht der Kläger laufend im Bezug von Leistungen bei der Beigeladenen. Inzwischen erhält er Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Dabei wird neben dem Regelbedarf (nach der Regelbedarfsstufe 1) und den Kosten der Unterkunft und Heizung (in voller Höhe) auch ein Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII berücksichtigt. Außerdem gewährte die Beigeladene dem Kläger in der Vergangenheit eine monatliche Pflegebeihilfe i.H.v. 175,85 EUR für Hilfe bei der Grundpflege und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Pflegebeihilfe wurde zum 01.07.2014 eingestellt (Bescheid vom 10.06.2014). Zuvor war ein Pflegesachverständiger der Beigeladenen in einem Gutachten vom 02.04.2014 nach persönlicher Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gekommen, dass der pflegerische Bedarf sich insgesamt nur auf 13,57 Minuten pro Tag (ca. 91 Minuten pro Woche) belaufe. Hinsichtlich des genauen Inhalts und der Einzelheiten dieses Gutachtens wird auf Blatt 148-163 der Gerichtsakten Bezug genommen.

Eine Absicherung des Klägers gegen das Risiko der Krankheit besteht im Rahmen der Übernahme der Krankenbehandlung für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung durch einen Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung (§ 264 SGB V).

Am 06.10.2012 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen eine "sofortige Kfz-Beihilfe" und führte zur Begründung aus, sein eigenes Kfz sei defekt ("Totalschaden"). Er sei seit Jahren gezwungen, seinen Heilpraktiker abzuholen und wieder nach Hause zu bringen. Der Heilpraktiker erbringe ihm therapeutische Leistungen in seiner hierfür ausgestatteten Wohnung. Auch Einkäufe könne er nur noch mit einem Kfz durchführen. Rein medizinisch gesehen benötige er einen Rollstuhl. Wegen der Lage seiner Wohnung sei eine entsprechende Hilfsmittelversorgung jedoch nicht sinnvoll. Die Beigeladene leitete diesen Antrag am 08.11.2012 an den Beklagten weiter.

Auch bei dem Beklagten stellte der Kläger (am 19.10.2012 telefonisch) einen Antrag auf Gewährung einer Kfz-Beihilfe. Diesen Antrag ergänzte er durch verschiedene Informationen zur Entwicklung seines Krankheitsbildes, die er in schriftlicher Form und auf DVD bei dem Beklagten einreichte. Dabei...

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