Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht. Leistungsanspruch bei mindestens fünfjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet. Fristbeginn mit Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. teleologische Reduktion bei fehlender Meldepflicht. Obdachlosigkeit

 

Orientierungssatz

§ 23 Abs 3 S 8 SGB 12 ist in den Fällen teleologisch zu reduzieren, in denen eine Meldepflicht nicht besteht.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.01.2021 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt I aus C beigeordnet.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII.

Der im Jahr 1954 geborene Antragsteller ist rumänischer Staatsangehöriger. Er lebt nach eigenen Angaben seit 2009 in Düsseldorf. Über eine Wohnung habe er in der ganzen Zeit nicht verfügt, sondern übernachte in Notschlafstellen und auf der Straße. Seinen Lebensunterhalt habe er durch den Verkauf einer Straßenzeitung, das Sammeln von Pfandflaschen sowie durch Spenden und Almosen sichergestellt. Über weiteres Einkommen und Vermögen verfüge er nicht, er habe auch keine Krankenversicherung. Seit dem Jahr 2013 sind regelmäßige Übernachtungen in den Notschlafstellen der Antragsgegnerin nachgewiesen, allerdings zum Teil mit längeren Unterbrechungen. Bei einer Meldebehörde in Deutschland meldete er sich nicht an.

Der Antragsteller beantragte am 29.06.2020 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII bei der Antragsgegnerin. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2020 ab. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII, da er kein materielles Aufenthaltsrecht habe und somit gem. § 23 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII von den Leistungen ausgeschlossen sei. Die Rückausnahme in § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII greife nicht ein, da keine Meldung bei der Einwohnermeldebehörde vorliege. Dabei handele es sich um eine Anspruchsvoraussetzung, der durchgehende Aufenthalt könne daher auch bei obdachlosen Personen nicht auf andere Art und Weise nachgewiesen werden.

Der Antragsteller erhob am 24.12.2020 Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf. Gleichzeitig hat er beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Leistungszahlung zu verpflichten.

Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 25.01.2021 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII vom 24.12.2020 bis zum 28.02.2021 in Höhe des Regelsatzes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung, da er das Vorliegen der Voraussetzungen der Rückausnahme in § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII glaubhaft gemacht habe. Die Dauer des Aufenthaltes könne auch auf andere Weise als durch eine melderechtliche Anmeldung belegt und glaubhaft gemacht werden.

Gegen den Beschluss hat die Antragsgegnerin am 05.02.2021 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 199 Abs. 2 SGG gestellt. Der Senat hat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Beschluss vom 04.03.2021 abgelehnt.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.01.2021 hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht zur Leistungszahlung verpflichtet.

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gemäß §§ 172, 173 SGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere steht der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen, dass das Sozialgericht die Antragsgegnerin nur bis zum 28.02.2021 verpflichtet hat, dieser Zeitraum abgelaufen ist und die Leistungen mittlerweile (teilweise) ausgezahlt worden sind, nachdem der Senat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 199 Abs. 2 SGG abgelehnt hat. Das Rechtschutzbedürfnis der Antragsgegnerin besteht weiterhin (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 18.03.2014 - L 13 AS 363/13 B ER und vom 09.06.2010 - L 13 AS 147/10 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21.10.2020 - L 7 SO 2772/20 ER-B und vom 17.10.2018 - L 7 SO 3150/18 ER-B ; Burkiczak in: jurisPK-SGG, § 86b SGG, Rn. 529; aA LSG Bayern, Beschlüsse vom 25.06.2018 - L 8 SO 49/18 B ER und vom 08.02.2017 - L 8 SO 269/16 B ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 21.02.2018 - L 4 SO 10/18 B ER). Denn im Falle einer Aufhebung einer erstinstanzlichen einstweiligen Anordnung durch das Beschwerdegericht hat die Behörde sogleich einen Anspruch auf Erstattung der aufgrund der aufgehobenen einstweiligen Anordnung erbrachten Leistungen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.10.2018 - L 7 SO 3...

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