Entscheidungsstichwort (Thema)

Heranziehung eines Vertragsarztes zum Notfalldienst durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst ist grundsätzlich jeder Vertragsarzt verpflichtet. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ist nicht berechtigt, von den unmittelbar patientenbezogen tätigen Arztgruppen einzelne generell von der Teilnahme am Notdienst zu befreien.

2. Der einzelne Vertragsarzt ist durch die Entscheidung der KV innerhalb des Notfalldienstes nur dann in seinen Rechten verletzt, wenn diese nicht mehr von sachbezogenen Erwägungen getragen wird und einzelne Arztgruppen oder Ärzte willkürlich benachteiligt werden.

3. Der in der Notfalldienstverpflichtung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit ist auch dann hinzunehmen, wenn er für den einzelnen Vertragsarzt besondere, über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit sich bringt.

4. Zur Befreiung vom ärztlichen Notfalldienst muss ein schwerwiegender Grund vorliegen. Dazu zählen eine schwere Erkrankung und eine Schwangerschaft; Erziehungsaufwand für minderjährige Kinder dagegen nicht.

5. Ordnet die KV die sofortige Vollziehung des Heranziehungsbescheides an, so muss dessen Begründung erkennen lassen, warum im konkreten Fall das öffentliche Interesse das Individualinteresse des Betroffenen überwiegt und warum dies dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht. Hierzu genügt eine formelhafte Begründung nicht.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 25.03.2011 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Heranziehungsbescheid der Antragsgegnerin zum ärztlichen Notfalldienst.

Der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Antragsteller ist als Facharzt für Innere Medizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und berechtigt, die Schwerpunktbezeichnung Nephrologie zu führen. Er ist mit vier weiteren Ärzten in einer fachinternistisch - nephrologischen Gemeinschaftspraxis in I tätig. Die Praxis verfügt über eine Nebenbetriebsstätte in C. In beiden Betriebsteilen befindet sich eine Dialyseeinrichtung, deren Öffnungszeiten über die üblichen Sprechstundenzeiten hinausgehen.

Am 05.07.2005 hatten die in vorgenannter Gemeinschaftspraxis tätigen Ärzte, der Bezirksstellenleiter der Antragsgegnerin und der Notdienstbeauftragte für die Stadt I eine Vereinbarung dahingehend getroffen, dass zwei der in der nephrologischen Gemeinschaftspraxis tätigen Ärzte in jeweils eine I Notdienstgruppe integriert werden. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass eine dieser Gruppen jeweils nur zweimal pro Jahr zum Notfalldienst eingeteilt wird. Der Gemeinschaftspraxis blieb es freigestellt, welcher der beteiligten Ärzte den Dienst zu verrichten hatte.

Am 26.04.2010 beantragten die Ärzte der Gemeinschaftspraxis die vollständige Befreiung vom Notfalldienst. Die Antragsgegnerin lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 25.05.2010 ab. Über die Widersprüche ist bisher nicht entschieden.

Mit Bescheid vom 17.12.2010 zog die Bezirksstelle I der Antragsgegnerin den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zum allgemeinen ärztlichen Notfalldienst für die Zeit vom 01.02.2011 bis zum 31.01.2012 heran. Ausweislich der Anlage zu diesem Bescheid ist der Antragsteller für drei Sitzdienste in einer Notfallpraxis (13.08.2011, 24.10.2011 und 23.12.2011) und einen Fahrdienst (22.01.2012) eingeteilt worden. Der am 10.01.2011 erhobene Widerspruch ist bislang nicht beschieden.

Unter dem 26.01.2011 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Detmold um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 04.02.2011 hat das SG Detmold den Rechtsstreit an das SG Dortmund verwiesen.

Der Antragsteller hat vorgetragen: Die Heranziehung zum allgemeinen ärztlichen Notfalldienst sei rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 11 Abs. 4 der Gemeinsamen Notfalldienstordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) vom 11.11.2009/20.03.2010 (GNO) nicht geprüft habe. Da die Heranziehung jeweils eine individuelle Verpflichtung begründe, müsse auch die individuelle Situation gewürdigt werden. Die Voraussetzungen für eine Befreiung lägen vor. Besonderheiten der Dialysebehandlung und die ständige Zusammenarbeit mit Transplantationszentren führten dazu, dass er durchgehend rufbereit sein müsse. Werde er zusätzlich zum allgemeinen ärztlichen Notfalldienst herangezogen, kollidiere dies mit seinen Pflichten als Nephrologe. Das von ihm errechnete jährliche Honorarvolumen von 30.000,00 EUR für Vertretungen der Mitglieder der Gemeinschaftspraxis sei nicht zumutbar. Zudem sei die Absprache vom 05.07.2005 dahin zu verstehen, dass er weiterhin vom Notfalldienst befreit sei. Darüber hinaus sei auch die Art...

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