Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme der Kosten eines nach § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachtens auf die Landeskasse

 

Orientierungssatz

1. Bei der Entscheidung, ob die Kosten eines nach § 109 SGG erstatteten Sachverständigengutachtens auf die Landeskasse zu übernehmen sind, ist neben dem allgemein anerkannten Gesichtspunkt der Förderung der Sachaufklärung auch zu berücksichtigen, ob eine unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht erfolgt ist.

2. Wurden tatsächlich relevante Zeugen vor Erhebung des Sachverständigenbeweises nicht gehört, so muss durch das Gericht sichergestellt sein, dass dem Sachverständigen die entsprechenden Beweisfragen zur Kenntnis gelangen und ihm ihre Bedeutung für die Sachverhaltsfeststellung bewusst wird. Hätte das Gutachten des Sachverständigen die Aufklärung des Sachverhalts gefördert, wenn die Zeugenangaben bei seiner Abfassung bereits vorgelegen hätten, so sind die angefallenen Gutachtenskosten der Landeskasse aufzuerlegen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 13.5.2011 geändert.

Die Kosten für das von Prof. Dr. O T erstattete Sachverständigengutachten werden auf die Landeskasse übernommen. Die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Kosten für das von Prof. Dr. O T erstattete Gutachten sind auf die Landeskasse zu übernehmen.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann die Anhörung eines Arztes auf Antrag der Klägerin bzw. des Klägers davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. Aus dem Wortlaut der Vorschrift erschließt sich lediglich, dass die Entscheidung über die Kostenübernahme im Ermessen des Gerichts liegt. Welche Ermessenskriterien hierfür maßgebend sein sollen, ist demgegenüber nicht geregelt. Daher ist es nicht ausgeschlossen, neben dem allgemein anerkannten Gesichtspunkt der Förderung der Sachaufklärung auch zu berücksichtigen, ob eine unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht erfolgt ist (Bayerisches LSG, Beschluss v. 3.2.2009, L 19 B 637/08 R, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 13.7.2005, L 9 B 146/03 KR, ASR 2005, 132; Hessisches LSG, Beschluss v. 28.1.2004, L 12 B 16/03 RJ; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 109 Rdnr. 16a; Reyels, jurisPR-SozR 16/2009 Anm. 5; Roller in Hk-SGG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rdnr. 23). Eines Rückgriffs auf die Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz bzw. ihren Rechtsgedanken bedarf es daher nicht.

Eine derartige unrichtige Sachbehandlung hat hier stattgefunden, freilich in erster Linie aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände und ohne dass dies der Kammervorsitzenden anzulasten wäre. Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 404a Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) hat das Gericht die Arbeit des Sachverständigen zu leiten. Es hat insbesondere gemäß § 404a Abs. 3 ZPO bei streitigem Sachverhalt die Tatsachen zu bestimmen, die er der Begutachtung zugrunde legen soll. Soweit es die entsprechenden Anknüpfungstatsachen - wie hier - durch Zeugenbeweis feststellt, ist es zwar nicht verpflichtet, den Zeugen vor der Erhebung des Sachverständigenbeweises zu hören. Es kann ihn vielmehr z.B. auch in Gegenwart des Sachverständigen vernehmen und diesem sachdienliche Fragen gestatten. Ebenso ist es verfahrensrechtlich unbedenklich zulässig, den Sachverständigen - wie im vorliegenden Fall beabsichtigt - zunächst schriftlich zu befragen, ob und ggf. welche Anknüpfungstatsachen noch durch Zeugenbeweis zu klären sind. In diesem Fall muss jedoch sichergestellt sein, dass dem Sachverständigen die entsprechenden Beweisfragen zur Kenntnis gelangen und ihm ihre Bedeutung für die Sachverhaltsfeststellung bewusst wird. Diese Anforderung ist hier nicht erfüllt, nachdem - offenbar aufgrund eines Versehens - entgegen der Anordnung der Kammervorsitzenden in den Abschriften der Beweisanordnung nicht Prof. Dr. O T , sondern Prof. Dr. X T (Institut für Endokrinologie u.a., Universitätsklinik E) zum Sachverständigen ernannt worden ist und dieser auch die Akten erhalten hat. Herrn Prof. Dr. X T ist auch die ergänzende Nachfrage des Gerichts übersandt worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die - nicht in der Beweisanordnung, sondern im Anschreiben an den Sachverständigen enthaltene - Fragestellung des Gerichts nach der Notwendigkeit, den ehemaligen Arbeitgeber des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zu vernehmen, geschweige denn die darauf bezogene Erinnerung den Sachverständigen Prof. Dr. O T überhaupt erreicht hat. Jedenfalls nimmt er in seiner im Übrigen sehr sorgfältigen Auswertung der Aktenlage hierauf an keiner Stelle Bezug. Andererseits hat er in seinem Gutachten ausgeführt, eine Leistungsminderung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin aufgrund einer Alkoholkrankheit sei mangels ausreichender Anhaltspunkte aus dem Akteninhal...

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