Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgenabwägung bei der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für einen Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 bei einem arbeitsuchenden Unionsbürger eingreift, ist nach wie vor umstritten und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu klären. Deshalb ist im einstweiligen Rechtsschutz im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, in die insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange des Antragstellers einzustellen sind.
2. Bei dieser Folgenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers am einstweiligen Bezug existenzsichernder Leistungen das fiskalische Interesse des Grundsicherungsträgers, an den Antragsteller bei ungeklärter Rechtslage keine finanziellen Aufwendungen erbringen zu müssen.
3. Hierbei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Leistungsträger seine finanziellen Belange durch die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs nach § 102 ff. SGB 10 beim örtlichen Sozialhilfeträger wahren kann.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 17.04.2014 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 07.04.2014 bis zur Bestandskraft des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2014, längstens bis zum 30.09.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv 391 EUR monatlich zu zahlen.
Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Die am 00.00.1994 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Seit dem 25.10.2013 hält sie sich in der Bundesrepublik Deutschland - nach ihren eigenen Angaben zur Arbeitsuche - auf. Die Antragstellerin wohnt mietfrei bei ihrer Tante, Frau T, die nach einer im Beschwerdeverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht und die Antragstellerin dadurch unterstützt, dass sie ihr - neben der kostenlosen Wohnmöglichkeit - Essen zur Verfügung stellt. Nach ihren eigenen Angaben ist die Antragstellerin etwa im fünften Monat schwanger.
Am 11.02.2014 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2014 ab. Die Antragstellerin halte sich allein zum Zweck der Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland auf und sei daher gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin am 19.03.2014 beim Sozialgericht Köln Klage erhoben (S 30 AS 1115/14).
Am 07.04.2014 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Köln beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen. Sie sei mittellos, wohne mietfrei bei der Tante und werde von dieser mit unregelmäßigen "Zugaben" unterstützt. Sie hat eine entsprechende eidesstattliche Versicherung sowie (auf Anforderung durch das Sozialgericht) Kontoauszüge vorgelegt.
Mit Beschluss vom 17.04.2014 hat das Sozialgericht - ohne weitere Ermittlungen oder Nachfragen - den Antrag sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es fehle an einem Anordnungsgrund, weil die Antragstellerin weder substantiiert dargelegt habe, dass die von der Tante gewährten Zuwendungen nicht ausreichend seien, um aktuell den Lebenunterhalt zu bestreiten, noch sei vorgetragen worden, dass die Tante sie nicht mehr unterstützen könne bzw. die Einstellung der Unterstützung unmittelbar bevorstehe.
Gegen diese am 23.04.2014 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 23.05.2014 erhobene Beschwerde der Antragstellerin. Sie trägt vor, sowohl Frau T als auch deren Lebensgefährte - Herr L - bezögen selber Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und könnten sie nur durch mietfreies Wohnen und Essen unterstützen. Finanzielle Zuwendungen erhalte sie nicht. Eine besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich auch aus ihrer Schwangerschaft. Sie sei nicht krankenversichert und könne deshalb Untersuchungen beim Frauenarzt nicht vornehmen lassen. Dies gefährde die Gesundheit des ungeborenen Kindes. Die Antragstellerin hat eidesstattliche Versicherungen von Frau T und Herrn L vorgelegt. Die Schwangerschaft hat sie nicht belegt.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts vom 17.04.2014 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebenunterhalts nach dem SGB II zu zahlen.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen. Er beruft sich weiterhin auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II.
Auf Aufforderung durch den Senat hat die Antragstellerin Kontoauszüge für die Zeit ab dem 15.04.2014 vorgelegt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass ...