Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der sog. Untätigkeitsbeschwerde
Orientierungssatz
Eine sog. Untätigkeitsbeschwerde ist unzulässig, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage in Gesetzesform gibt. Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt sein. Es verstieße gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsklarheit, wenn von der Rechtsprechung außerordentliche Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffen würden, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen.
Tenor
Die Untätigkeitsbeschwerde der Antragstellerin wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Mit am 04.10.2010 beim Sozialgericht gestelltem Antrag hat die Antragstellerin die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) unter Anknüpfung an ihre am 27.07.2010 bei der Antragsgegnerin gestellten Anträge auf Grundsicherung sowie Erstausstattung für Schwangerschaft und Kind beantragt.
Nach Ermittlungen des Sozialgerichts zu dem von der Antragsgegnerin bislang als nicht erwiesen angesehenen Anspruchsvoraussetzungen hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27.10.2010 idF des Änderungsbescheides vom 09.11.2010 der Antragstellerin Grundsicherungsleistungen ab dem 01.08.2010 bewilligt.
Mit der am 28.10.2010 beim Sozialgericht eingegangener Beschwerde hat die Antragstellerin Untätigkeit sowohl der Antragsgegnerin als auch des Sozialgerichts hinsichtlich des am 27.07.2010 gestellten Antrages u. a. auf Babyerstausstattung und Schwangerschaftsbekleidung gerügt und mit weiterem Schreiben vom 09.11.2010 auf Anfrage des Sozialgerichts mitgeteilt, da dieses weiterhin untätig sei, werde um Weiterleitung an das Landessozialgericht gebeten.
Das Rechtsmittel ist nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen.
Nach § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) findet die Beschwerde gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden der Sozialgerichte statt. Eine anfechtbare Entscheidung des Sozialgerichts liegt nicht vor. Die Antragstellerin rügt vielmehr eine von ihr gesehene Untätigkeit des Sozialgerichts mit einer so genannten "Untätigkeitsbeschwerde". Untätigkeitsbeschwerden sind nach allgemeiner Auffassung unzulässig, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage in Gesetzesform gibt (u. a. Beschluss des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, Große Kammer vom 08.06.2006 - 75529/01 -; BSG Beschluss vom 19.01.2010 - B 11 AL 13/09 C -, Beschlüsse des LSG NRW vom 30.01.2008 - L 19 B 16/08 AS ER -, vom 04.03.2010 - L 6 AS 304/10 B ER -, vom 29.03.2010 - L 20 AS 324/10 B - mwN; Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 30.06.2010 - L 13 SB 49/10 B -; offengelassen im Beschluss des Bayrischen Landessozialgerichts vom 28.04.2010 - L 1 R 132/10 B -). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist verfassungsrechtlich erforderlich, dass Rechtsbehelfe in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sind. Es verstößt daher gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit, wenn von der Rechtsprechung außerordentliche Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffen werden, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen (Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 -; Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.01.2007 - 1 BvR 2803/06 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist endgültig, § 177 SGG.
Fundstellen