Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzen der Ermittlungspflicht des Gerichts bei offenkundig versäumter Klagefrist
Orientierungssatz
1. Nach dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG sind die Verfahrensbeteiligten bei der Erforschung des Sachverhalts heranzuziehen. Die Amtsermittlung findet ihre Grenze an der Mitwirkungspflicht der Verfahrensbeteiligten (BSG Urteil vom 17. 12. 1997, 11 RAr 61/97).
2. Nachforschungen sind nur erforderlich, soweit sie der Sachverhalt und der Vortrag der Beteiligten nahelegen.
3. Ist nach den von den Beteiligten vorgetragenen Verfahrensabläufen ausgeschlossen, dass der ergangene Widerspruchsbescheid erst Monate nach dessen Erlass bekanntgegeben worden ist, so gilt die einmonatige Klagefrist des § 87 Abs. 1 SGG als verstrichen. Die erhobene Klage ist als unzulässig abzuweisen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.12.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) und die Gewährung einer Verletztenrente sowie Leistungen nach § 3 BKV.
Aufgrund eines Erstattungsantrags der Krankenversicherung des Klägers vom 07.04.2014 prüfte die Beklagte, ob bei dem Kläger eine BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 der BKV (BK 2108) vorliege, was sie mit Bescheid vom 06.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2015 verneinte. Auf dem Widerspruchsbescheid ist in dem Formularfeld "Versand am:..." ein Datumsstempel vom 13.11.2015 sowie daneben ein Unterschriftskürzel angebracht. Die Rechtsbehelfsbelehrung lautet wie folgt: "Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage erheben (§ 87 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz-SGG). Sie können die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem zuständigen Sozialgericht Dortmund, Ruhrallee 3, 44139 Dortmund einreichen (§ 57 Abs 1 und § 90 SGG)." Der Widerspruchsbescheid ist dem Kläger zugegangen, jedoch hat der Kläger ausdrücklich Angaben dazu verweigert, wann ihm dieser zugegangen ist.
Am 06.05.2016 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben mit dem Ziel, die BK 2108 feststellen zu lassen und Leistungen zu erhalten. Das SG hat die Klage nach einer ausführlichen Befragung des Klägers und des Beklagtenvertreters mit Urteil vom 16.12.2019 als unzulässig abgewiesen. Es stehe nach dem Vortrag des Beklagtenvertreters fest, dass der Widerspruchsbescheid am 13.11.2015 von der Beklagten zur Post gegeben worden sei. Damit gelte nach der Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) der Widerspruchsbescheid als am 16.11.2015 zugegangen. Die Klagefrist des § 87 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei bereits am Mittwoch, dem 16.12.2015 abgelaufen.
Gegen das ihm am 10.01.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10.02.2020 Berufung eingelegt.
Er trägt vor, dass die Klagefrist bereits deswegen nicht abgelaufen sein könne, weil die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Widerspruchsbescheid unzutreffend sei, so dass die Ausschlussfrist von einem Jahr gemäß § 66 Abs 2 SGG greife, die bei Erhebung der Klage noch nicht abgelaufen war. In der Belehrung fehle der Hinweis, dass bei schriftlicher Klageerhebung die Frist nur dann gewahrt sei, wenn die Klage vor Ablauf der Frist bei Gericht eingegangen sei. Dieser Hinweis sei aber notwendiger Bestandteil der Belehrung. Außerdem fehle ein Hinweis auf die Bekanntgabefiktion des § 37 SGB X, der wegen der Unbestimmtheit des Begriffs der Bekanntgabe ebenfalls notwendig sei.
Davon abgesehen sei die Monatsfrist vorliegend auch gewahrt, denn die Zugangsfiktion sei nicht anwendbar. Das SG habe den Tag der Aufgabe des Widerspruchsbescheides zur Post festgestellt, ohne über die zugrunde gelegten Tatsachen, die allein dem Vortrag des Beklagtenvertreters entsprangen, Beweis zu erheben. Die Beklagte sei jedoch nicht uneingeschränkt glaubwürdig, da dem Klägerbevollmächtigten aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt sei, dass das auf Bescheiden der Beklagten aufgestempelte Datum nicht dem Tag der Aufgabe zur Post entspreche, sondern regelmäßig mehrere Tage früher liege. So trage beispielsweise in den Verfahren L10.800.787.000 und L10.800.277.000 der Stempelaufdruck auf den Bescheiden ein Datum, das drei Tage vor dem des Poststempels liege. Auch könne aus dem Eingang einer Sendung bei einem anderen Widerspruchsführer nicht taggenau auf das Datum der Aufgabe zur Post geschlossen werden. Dies sei aber erforderlich, um die Bekanntgabefiktion auszulösen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.12.2019 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2015 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1...