Entscheidungsstichwort (Thema)

Befreiung des Vertragsarztes von der Teilnahme am ärztlichen Notdienst

 

Orientierungssatz

1. Ein Vertragsarzt kann auf seinen Antrag vom Notfalldienst auf Dauer oder befristet befreit werden, wenn ein schwerwiegender Grund vorliegt. Das der Kassenärztlichen Vereinigung hierbei eingeräumte Erschließungsermessen hat insbesondere den Gesichtspunkt der Gleichförmigkeit des Verwaltungshandelns zu beachten.

2. Eine Befreiung aus gesundheitsbedingten Gründen setzt voraus, dass sich die Erkrankung bzw. Behinderung in einem nennenswerten Umfang nachteilig auf die Praxistätigkeit des Arztes auswirkt. Dies ist in erster Linie anhand eines Vergleichs des vor und nach der eingetretenen Erkrankung/Behinderung erzielten ärztlichen Honorars zu beurteilen.

3. Eine ersatzlose Befreiung vom Notfalldienst kommt nur dann in Betracht, wenn aus gesundheitlichen oder ähnlich schwerwiegenden Gründen die Praxistätigkeit des Arztes eingeschränkt ist und ihm deshalb die Finanzierung eines Vertreters nicht mehr zugemutet werden kann.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 17.06.2011 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt mittels einstweiligen Rechtsschutzes vom organisierten ärztlichen Notfalldienst befreit zu werden.

Er ist als Facharzt für Allgemeinmedizin in X niedergelassen, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und Mitglied einer aus zwei Ärzten bestehenden Gemeinschaftspraxis.

Am 29.12.2008 zog er sich bei einem Unfall eine Fraktur des 1. Lendenwirbelkörpers zu. Die Antragsgegnerin lehnte seinen Antrag vom 15.10.2010 auf Befreiung vom ärztlichen Notfalldienst mit Bescheid vom 09.12.2010 ab, da keine deutliche Einschränkung der Praxistätigkeit zu verzeichnen und die Stellung und Bezahlung eines Vertreters zumutbar sei. Über den hiergegen gerichteten Widerspruch hat die Antragsgegnerin bislang nicht entschieden.

Am 16.05.2011 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Dortmund um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und im Einzelnen dargelegt, aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage zu sein, den Notfalldienst abzuleisten.

Der Antragsteller hat beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn ab sofort bis zunächst zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag vom 15.10.2010 auf Befreiung von der Teilnahme am organisierten ärztlichen Notfalldienst vorläufig von der Teilnahme am organisierten ärztlichen Notfalldienst zu befreien.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Dem Antragsteller sei es zumutbar, einen Vertreter zu bestellen. Seine Fallzahlen lägen auch nach seinem Unfall unverändert über den durchschnittlichen Fallzahlen seiner Fachgruppe. Sein Honorar übersteige im Jahr 2010 das vor dem Unfall erzielte Honorar deutlich.

Mit Beschluss vom 17.06.2011 hat das SG den Antrag abgelehnt. Auf schriftlichen Antrag könnten Ärzte vom Notfalldienst befreit werden, wenn schwerwiegende Gründe vorlägen. Hierzu rechneten eine nachgewiesene schwere Erkrankung oder Behinderung, sofern sich diese in einem nennenswerten Umfang auf die Praxistätigkeit (z.B. Fallzahlen) nachteilig auswirke und dem Arzt deshalb die Beauftragung eines Vertreters für den Notfalldienst auf eigene Kosten nicht zugemutet werden könne. Letzteres sei weder vorgetragen noch aus den von der Antragsgegnerin übermittelten Werten zu Fallzahl- und Honorarentwicklung des Antragstellers erkennbar. In den Quartalen des Jahres 2010 habe die Zahl der Behandlungsfälle nur geringfügig unter jenen des Jahres 2008 gelegen. Das in den Quartalen des Jahres 2010 erzielte Honorar läge über dem des Jahres 2008 (wird ausgeführt).

Diese Entscheidung greift der Antragsteller fristgerecht mit der Beschwerde an. Allein die Fallzahlen der Gemeinschaftspraxis gäben keinen Aufschluss darüber, ob er seine Praxistätigkeit in vollem Umfang ausführen könne oder nicht. Selbstverständlich lägen die Fallzahlen der Gemeinschaftspraxis über dem Falldurchschnitt der Allgemeinmediziner in Westfalen-Lippe. Die Gemeinschaftspraxis liege in einer Kleinstadt. Die dortigen Praxen seien aus allgemein bekannten Gründen sämtlichst erheblich größer als die Praxen in den besser besetzten größeren Städten. Er sei nicht fähig, den Notfalldienst auszuüben und könne nicht darauf verwiesen werden, einen Vertreter auf eigene Kosten bestellen zu müssen; dies sei ihm wirtschaftlich nicht zumutbar. Würde der Argumentation der Antragsgegnerin gefolgt, hätte dies zur Folge, dass er - der Antragsteller - weiterhin, obwohl persönlich nicht dazu in der Lage, zur Teilnahme an den Diensten verpflichtet wäre und sich um einen Vertreter kümmern müsste. Er trage dann das Risiko dafür, dass der Vertreter den Dienst auch ausführe.

Der Antragsteller beantragt,

nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

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