Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen durch ein Zeitarbeitsunternehmen auf der Basis des sog. equal-pay-Lohnes
Orientierungssatz
1. Voraussetzung der 30-jährigen Verjährung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen ist, dass der Beitragsschuldner die Beiträge vorsätzlich vorenthalten hat. Es reicht aus, dass der Vorsatz zur Vorenthaltung der Beiträge bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist. Ebenso ausreichend ist, dass er seine Beitragspflicht für möglich gehalten und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hat. Diese Grundsätze gelten auch für die Nachforderung von Beiträgen auf der Grundlage des Leiharbeitnehmern geschuldeten equal-pay-Lohnes, vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 2005 - B 12 KR 3/04 R.
2. Ob ein Arbeitgeber seine rückwirkende Zahlungspflicht für möglich gehalten hat, ist eine Tatsachenfrage, die im konkreten Fall bezogen auf den individuellen Arbeitgeber zu beantworten ist. Deshalb ist es unbeachtlich, ob die Arbeitgeber der Zeitarbeitsbranche spätestens ab dem 14. 12. 2010 aufgrund der am 14. 12. 2010 zum equal-pay-Lohn ergangenen Entscheidung des BAG vom 14. 12. 2010 ihre rückwirkende Zahlungspflicht für möglich hätten halten müssen.
3. Soweit es in diesem Zusammenhang auf die Kenntnis des Arbeitgebers ankommt, ist bei juristischen Personen in erster Linie auf die Kenntnis der für sie handelnden vertretungsberechtigten Organvertreter abzustellen, vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2000 - V ZR 349/99.
4. Eine tatsächliche Vermutung, dass die Arbeitgeber von Zeitarbeitsunternehmen generell bereits im Dezember 2010 die Entscheidung des BAG vom 14. 12. 2010 kannten, lässt sich nicht rechtfertigen.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 8.8.2012 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.377,20 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, ein in der Rechtsform der GmbH betriebenes Personaldienstleistungsunternehmen, begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6.6.2012, mit dem diese Sozialversicherungsbeiträge für von der Antragstellerin an andere Unternehmen überlassene Arbeitnehmer auf der Basis des sog. Equal-pay-Lohnes verlangt. Die Antragsgegnerin stützt diese Nachforderung u.a. auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP).
Das Sozialgericht (SG) Köln hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 6.6.2012 angeordnet, soweit die Antragsgegnerin Nachforderungen für den Zeitraum vom 1.12.2005 bis 31.12.2006 geltend macht (Beschluss v. 8.8.2012). Unter Hinweis auf die Entscheidung des erkennenden Senates vom 10.5.2012 (L 8 R 164/121 B ER, juris) hat das SG ausgeführt, es bestünden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides für den genannten Zeitraum, weil bei summarischer Prüfung von einer Verjährung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) auszugehen sei. Bedingter Vorsatz der Antragstellerin hinsichtlich der Nichtentrichtung von Beiträgen bereits im Dezember 2010 könne nicht pauschal angenommen werden. Selbst bei unterstellter Kenntnis des Tenors des Beschluss vom 14.12.2010 sei ohne Vorliegen der schriftlichen Entscheidungsgründe nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt bereits die Möglichkeit rückwirkender Beitragsforderung ernsthaft in Betracht gezogen habe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der diese vorträgt: Das SG habe sich mit der "abweichenden Rechtsauffassung" anderer Gerichte nicht hinreichend auseinandergesetzt, wonach die Arbeitgeber der Zeitarbeitsbranche spätestens ab dem 14.12.2010 ihre rückwirkende Zahlungspflicht hätten für möglich halten müssen und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hätten. Die Antragstellerin habe selbst mit Schreiben vom 23.5.2011 vorgetragen, dass sie nach Prüfung der Sach- und Rechtslage die vorzunehmenden Beitrags- und Meldekorrekturen nicht bis zum 31.5.2011 vornehmen könne. Dies zeige, dass sie ihre Zahlungspflicht seit der Verkündung der Entscheidung des BAG für möglich gehalten habe. Entsprechendes habe sich auch aus einer von der Antragstellerin zitierten Pressemitteilung vom 18.3.2011 ergeben. Zudem habe der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin schriftsätzlich auf den Inhalt der Homepage der Antragsgegnerin vom 21.12.2010 verwiesen, wo diese selbst die Frage der Rückwirkung des Beschlusses des BAG als noch nicht beantwortbar bezeichnet habe.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 8.8.2012 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 6....