Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtschutz. Kurzarbeitergeldanspruch. Anspruch auf Erteilung eines Anerkennungsbescheids. betriebliche Voraussetzung. eigenständiger Betrieb. Heimatbasis einer ausländischen Fluggesellschaft. Betriebsbegriff. Auslegung. technisch-organisatorische Einheit. Leitung des Flugbetriebes. Personalleitung. Europarechtskonformität
Orientierungssatz
1. Bei einer ausländischen Fluggesellschaft mit Heimatbasen an verschiedenen deutschen Flughäfen handelt es sich bei der Heimatbasis dann um einen eigenständigen Betrieb gem § 97 SGB 3, wenn er eine technisch-organisatorische Einheit bildet.
2. Im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes sprechen die überwiegenden Argumente dafür, den Betriebsbegriff in § 97 SGB 3 im Hinblick auf den Betriebsstandort einer Fluggesellschaft an einem Flughafen so auszulegen, wie es das BAG in seiner Entscheidung zur MERL getan hat (vgl BAG vom 13.02.2020 - 6 AZR 146/19 = BAGE 169, 362 = AP Nr 56 zu § 17 KSchG 1969).
3. Eine Auslegung des Begriffs des Betriebs in der Weise, dass sich neben der technisch-organisatorischen Einheit auch die Leitung des Flugbetriebes und die Personalleitung im Inland befinden müssen, wäre - jedenfalls nach der im einstweiligen Rechtschutz gebotenen Prüfungsdichte - nicht mit dem europäischen Recht vereinbar.
4. Es wird im Hauptsacheverfahren zu prüfen sein, ob es objektive Allgemeininteressen gibt, die es rechtfertigen, den Betriebsbegriff in § 97 SGB 3 so auszulegen, dass sich bei einer Fluggesellschaft auch die Leitung des Flugbetriebes und die Personalleitung im Inland befinden müssen, um einen Betrieb annehmen zu können.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.12.2020 wird geändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin hinsichtlich ihrer in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Heimatbasen für den Zeitraum ab dem 23.10.2020 bis zum 28.02.2021 vorläufig einen Anerkennungsbescheid nach § 99 Abs. 3 SGB III zu erteilen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin in beiden Instanzen die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes die vorläufige Erteilung eines Anerkennungsbescheides nach § 99 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) für den Zeitraum 01.06.2020 bis 28.02.2021, hilfsweise die vorläufige Gewährung von Kurzarbeitergeld für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (im Folgenden: Mitarbeiter) im Zeitraum Juni bis August 2020.
Die Antragstellerin ist eine Fluggesellschaft mit Unternehmenssitz in N, sie gehört zur S-Gruppe. Seit dem 01.01.2020 wird der Flugbetrieb der Gruppe in Deutschland ausschließlich durch die Antragstellerin abgedeckt, d.h. die in Deutschland stationierten Mitarbeiter sind seit diesem Datum bei ihr angestellt. Die Antragstellerin betreibt Stationen (sog. Heimatbasen) an acht deutschen Flughäfen, nämlich C, C1, G, G1, L, L1, N1 und O (die C Basen sind zwischenzeitlich durch die an dem Flughafen C2 abgelöst worden). An diesen Heimatbasen sind die Flugzeuge der Antragstellerin stationiert und auch die als Flug- und Kabinenpersonal beschäftigten Mitarbeiter sind jeweils einer Heimatbasis der Antragstellerin an einem deutschen Flughafen zugewiesen. Die Antragstellerin behält sich allerdings in ihren Arbeitsverträgen vor, die Mitarbeiter auch an eine andere Heimatbasis zu versetzen. Die Lohnabrechnung für die in Deutschland stationierten Mitarbeiter der Antragstellerin erfolgt über einen externen Dienstleister in L2.
Die Leitung des Flugbetriebes (Chefpilot) und die Personalleitung befinden sich am Unternehmenssitz auf N. An den einzelnen Heimatbasen ist jeweils ein base captain für das Flug- und ein base supervisor für das Kabinenpersonal zuständig. Dabei handelt es sich um Mitarbeiter, die neben ihrer Tätigkeit im Flugbetrieb auch administrative Aufgaben erfüllen. Sie haben zu diesem Zweck auch eigene Entscheidungskompetenzen, die allerdings sehr begrenzt sind und nur dazu dienen, einen reibungslosen Betriebsablauf vor Ort sicherzustellen. Alle wesentlichen Entscheidungen im Flugbetrieb und im Personalbereich werden von der Unternehmensleitung auf N getroffen. Weiterhin verfügt die Antragstellerin an den Heimatbasen über Räumlichkeiten, in denen der jeweilige base captain und base supervisor ihre administrativen Tätigkeiten ausführen und in denen sich auch die weiteren Mitarbeiter während ihrer Dienstzeiten aufhalten können. Darüber hinaus werden dort auch Schulungen durchgeführt und es besteht für die Mitarbeiter die Möglichkeit, die vorhandenen Computerarbeitsplätze für dienstliche Zwecke zu nutzen.
Im März 2020 zeigte die Antragstellerin aufgrund der Corona-Pandemie einen erheblichen Arbeitsausfall bei der Antragsgegnerin an. Diese erteilte daraufhin am 01.04.2020 einen Anerkennungsbescheid gem. § 99 Abs. 3 SGB III hinsichtlich des erheblichen Arbeitsausfalls...