Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des nach Art. 10 EUV 492/11 aufenthaltsberechtigten Unionsbürgers auf Leistungen der Grundsicherung

 

Orientierungssatz

1. Die Kinder eines Unionsbürgers, der in Deutschland beschäftigt ist oder gewesen ist, verfügen nach Art. 10 EUV 492/11 über ein Aufenthaltsrecht, wenn sie am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Die Vorschrift verleiht den Kindern ein vom Aufenthaltsrecht ihrer Eltern unabhängiges, eigenständiges Aufenthaltsrecht. Ausreichend ist, dass der Elternteil in einem Beschäftigungsverhältnis stand, als sich das Kind in Schulausbildung befand.

2. Hieraus leitet sich ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des sorgeberechtigten Elternteils nach Art. 10 EUV 492/11 ab. Ohne Bedeutung ist dabei, ob der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Elternteil nicht mehr Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist (EuGH Urteil vom 30. 6. 2016, C - 115/15).

3. Der Leistungsausschluss verstößt gegen europäisches Gemeinschaftsrecht.

4. Bei der Berechnung des Anspruchs auf Leistungen der Grundsicherung sind aus einem Beschäftigungsverhältnis erzieltes Einkommen sowie gezahltes Kindergeld anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 22.02.2018 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Anrechnung eines Erwerbseinkommens iHv 200 EUR monatlich sowie des Kindergeldes von Januar 2018 bis einschließlich Juli 2018 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Den Antragstellern wird auch für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q, L, beigeordnet.

Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragsteller zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die 1971 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der Antragsteller zu 2) bis 5). Die Familie erhielt - gemeinsam mit dem mittlerweile nach Rumänien verzogenen Ehemann der Antragstellerin zu 1) N H - bis Juni 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Sie leben seit Anfang 2016 in der Bundesrepublik Deutschland in einer Mietwohnung. Die Antragstellerin zu 1) war von Januar 2017 bis zum 15.06.2017 beschäftigt als Reinigungskraft bei der Fa. N L Sie erzielte dort ein regelmäßiges monatliches Nettoentgelt i.H.v 450 EUR. Die am 00.00.2000 geborene Antragstellerin zu 2), der am 00.00.2003 geborene Antragsteller zu 3) und der am 00.00.2007 geborene Antragsteller zu 4) gingen in dieser Zeit und gehen auch heute noch zur Schule. Von September 2017 bis November 2017 war sie vollschichtig bei der Arbeitnehmerüberlassung "V Personalservice GmbH" beschäftigt. Sie war jedenfalls im Februar 2018 beschäftigt als Zustellerin bei Fa "B ". Für Februar 2018 ist ein Monatsverdienst iHv 205,14 EUR nachgewiesen. Seit Ende Mai 2018 arbeitet die Antragstellerin zu 5) in einem Cafe in L als geringfügig beschäftigte Reinigungskraft.

Den Weiterbewilligungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 23.11.2017 ab, über den am 12.12.2017 eingelegten Widerspruch ist nach Aktenlage noch nicht entschieden.

Am 05.01.2018 haben die Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Leistungszahlung zu verpflichten. Sie haben Schulbescheinigungen sowie Unterlagen über das Beschäftigungsverhältnis der Antragstellerin zu 5) vorgelegt und sich darauf berufen, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c) SGB II sei europarechtswidrig.

Mit Beschluss vom 22.02.2018 hat das Sozialgericht den Antrag und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Antragsteller hätten keine Unterlagen vorgelegt, aus denen ihre Hilfebedürftigkeit ersichtlich ist.

Hiergegen richtet sich die am 12.03.2018 erhobene Beschwerde der Antragsteller. Sie haben ergänzend ausgeführt, ihren Lebensunterhalt vom Kindergeld und Einkommen eines weiteren Sohnes der Antragstellerin zu 1), der aber seiner Partnerin und seinem Kind vorrangig verpflichtet sei, zu bestreiten. Außerdem erhielten sie Unterstützung von einer in Italien lebenden Schwester der Antragstellerin zu 1) iHv 800 EUR monatlich. Die Schwester leiste die Unterstützung, weil die Antragstellerin zu 1) ihr mitgeteilt habe, dass die Familie keine "Sozialhilfe" erhalte und deshalb bedürftig sei. Die Antragsteller haben in einem Erörterungstermin am 07.06.2018 Kontoauszüge und die Kopie eines Mietvertrages vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist - nach Rücknahme des ursprünglichen Antrags des Antragstellers zu 6) begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordn...

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