Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelrabattvertrag. Vergabenachprüfungsverfahren. Krankenkassen keine Unternehmen iS des EU-Kartellrechts. Beachtung des Missbrauchs- und Diskriminierungsverbots durch Krankenkasse. eindeutige und erschöpfende Beschreibung der Leistungen des pharmazeutischen Unternehmers. Auswahl. Zuschlagskriterien. Ermessensspielraum der Krankenkasse. Verfassungsmäßigkeit des § 130a Abs 8 SGB 5
Orientierungssatz
1. Im Vergabenachprüfungsverfahren ist allein zu prüfen, ob die Krankenkasse als Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten hat. Im Hinblick auf eine geltend gemachte Verletzung kartellrechtlicher Vorschriften ist der Rechtsweg in das Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren nicht eröffnet.
2. Beim Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs 8 SGB 5 handeln die Krankenkassen nicht als Unternehmen iS von den Art 81, 82 EG-Vertrag (juris: EG) (vgl EuGH vom 16.3.2004 - C-264/01 = SozR 4-6035 Art 81 Nr 1).
3. Beim Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen hat die Krankenkasse das Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot zu beachten. Sie hat dabei zu gewährleisten, dass es zu keiner marktbeherrschenden Stellung des Vertragspartners und zu keinen Boykotten kommt.
4. Die Leistung des pharmazeutischen Unternehmers muss so eindeutig und erschöpfend beschrieben sein, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinn verstehen und die Angebote miteinander verglichen werden können. Bei der Auswahl der Zuschlagskriterien steht der Krankenkasse ein lediglich beschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum zu.
5. Für eine Verfassungswidrigkeit des § 130a Abs 8 SGB 5 besteht kein Anhaltspunkt.
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 16.03.2009 (VK 3-37/09) wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen.
Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerinnen wird für notwendig erklärt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (AS), die u.a. nicht patentgeschützte Arzneimittel (Generika) produziert und vertreibt, begehrt - nachdem die Antragsgegnerinnen (AG) die Zuschläge auf die Rabattverträge gemäß § 130a Abs. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erteilt haben - die Feststellung, dass sie durch das Vergabeverfahren in ihren Rechten verletzt worden ist.
Die Antrags- und Beschwerdegegnerinnen (AG) haben den Abschluss von Rabattvereinbarungen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V in einem EU-weit bekannt gemachten offenen Verfahren (Bekanntmachungsnummer 2008/S 154-20 79 65) für eine Vertragslaufzeit von zwei Jahren ausgeschrieben. Gegenstand der wirkstoffbezogenen Ausschreibung waren nicht patentgeschützte Arzneimittel (Generika) in 64 Fachlosen (Wirkstoffe) und 5 Gebietslosen. Das Gebietslos 1 umfasste die AOK Bayern mit etwa 4,1 Millionen Versicherten, das Gebietslos 2 die AOK Rheinland-Hamburg und AOK Westfalen-Lippe (ca. 5 Millionen Versicherte), das Gebietslos 3 die AOK Hessen und AOK Plus (ca. 4,3 Millionen Versicherte), das Gebietslos 4 die AOK Baden-Württemberg, AOK Rheinland-Pfalz und AOK Saarland (ca. 5 Millionen Versicherte) und das Gebietslos 5 die AOK Berlin, AOK Brandenburg, AOK Bremen/Bremerhaven, AOK Mecklenburg-Vorpommern, AOK Niedersachsen, AOK Sachsen-Anhalt und AOK Schleswig-Holstein mit ca. 5,6 Millionen Versicherten.
Gegenstand der Ausschreibung waren (zunächst) die folgenden 64 Wirkstoffe:
Alendronsäure Alfuzosin Allopurinol Amiodaron Amisulprid Amlodipin Azathioprin Bisoprolol Bisoprolol + Hydrochlorothiazid (HCT) Captopril Captopril + HCT Carvedilol Cefaclor Cefuroxim Ciprofloxacin Citalopram Clarithromycin Diclofenac Doxazosin Doxepin Enalapril Enalapril + HCT Felodipin Finasterid Furosemid Gabapentin Glimepirid Hydrochlorathiazid Ibuprofen Isosorbiddinitrat Isosorbidmononitrat Itraconazol Levodopa + Benserazid Levodopa + Carbidopa Lisinopril Lisinopril + HCT Melperon Metformin Metoclopramid Metoprolol Metoprolol + HCT Mirtazapin Molsidomin Moxonidin Nifedipin Nitrendipin Olanzapin Omeprazol, Paroxetin Ramipril Ramipril + HCT Ranitidin Risperidon Roxithromycin Sertralin Simvastatin Spironolacton Sumatriptan Tamsulosin Terazosin Torasemid Tramadol Trimipramin Verapamil
Hinsichtlich des Wirkstoffs Olanzapin wurde die Ausschreibung wegen eines bestehenden Patentrechts (vergl. insoweit Bundesgerichtshof (BGH), Urteil v. 16.12.2008 - X ZR 89/07) aufgehoben.
Nach den Verdingungsunterlagen hatte jeder Bieter pro angebotenem Fachlos (Wirkstoff) und je Gebietslos einen "Rabatt-ApU" (Rabatt-Apothekenverkaufspreis) für alle Pharmazentralnummern (PZN) anzubieten, die er für den angebotenen Wirkstoff nach der "Lauer-Taxe" am 01. 08 2008 (im Laufe des Ausschreibungsverfahrens geändert auf den 01.09.2008 - ...