Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollständiger Wegfall des Arbeitslosengeld II. Verpflichtung des Grundsicherungsträgers zur gleichzeitigen Entscheidung über ergänzende Sach- oder geldwerte Leistungen. Ermessensreduzierung bei Zusammenleben mit minderjährigem Kind. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
Unter verfassungskonformer Auslegung ist der Grundsicherungsträger bei einer Entscheidung über eine Sanktion nach § 31 SGB 2, die zum vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeld II führt, verpflichtet mit der Sanktionsentscheidung zeitgleich auch über die Erbringung ergänzender Sachleistungen oder geldwerter Leistungen im konkreten Fall zu entscheiden. Der Träger ist insofern auch verpflichtet vor Ausspruch der Sanktion den Hilfebedürftigen über die Möglichkeit ergänzender Sachleistungen zu informieren. Erst diese Information versetzt ihn in die Lage, das durch § 31 Abs 3 S 6 SGB 2 grundsätzlich eröffnete Ermessen gem § 39 Abs 1 iVm § 37 S 1 SGB 1 fehlerfrei auszuüben. Lebt der Hilfebedürftig - wie hier - mit minderjährigen Kindern in Bedarfsgemeinschaft und liegt insofern kein atypischer Fall vor, verdichtet sich das Ermessen (§ 31 Abs 3 S 7 SGB 2) zu einer grundsätzlichen Leistungserbringungspflicht.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.05.2009 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch für das Beschwerdeverfahren.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Denn das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 25.05.2009 im Ergebnis zu Recht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Sanktionsbescheid der Antragsgegnerin vom 16.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2009 angeordnet.
1. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers hat das SG zu Recht dieser Rechtsschutzform zugeordnet. Denn mit Verwaltungsakt (Bescheid) vom 16.02.2009 verfügte die Antragsgegnerin gemäß § 31 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die vollständige Aufhebung und damit den "Wegfall" (§ 31 SGB II) der Leistung des Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum vom 01.03.2009 bis zum 31.05.2009. Die hiergegen erhobenen Rechtsbehelfe des Antragstellers haben gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.
2. Bei der Entscheidung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn. 12 und 12a). Im Rahmen dieser Abwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens in den Blick zu nehmen.
Hier bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des in der Hauptsache gerichtlich angefochtenen Verwaltungsaktes, so dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerechtfertigt ist.
a) Der Senat hatte nicht zu entscheiden, ob die Sanktionstatbestände des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die subjektive Vorwerfbarkeit voraussetzen (so das SG unter Hinweis u.a. auf Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 31 Rn. 8). Denn hier dürfte sich das Erfordernis vorsätzlichen Handelns bereits aus dem Wort "weigert" in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II ergeben (vgl. Rixen a.a.O., Rn. 9), weil eine bloß fahrlässige Nichterfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig keine "Verweigerungshaltung" des Hilfebedürftigen zum Ausdruck bringen dürfte.
Bei der Klärung, ob sich der Antragsteller "weigerte", seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen, sind sämtliche Umstände des konkreten Falles in den Blick zu nehmen und zu würdigen. Dies gilt auch für den Umstand, dass der Antragsteller unter Betreuung steht. Allerdings rechtfertigt die Betreuung des Antragstellers entgegen der Rechtsauffassung des SG nicht die generelle Aussage, dass "der Antragsteller tatsächlich für den Umgang mit Behörden nicht geeignet ist" und "ihm ein Fehlverhalten subjektiv nicht vorgeworfen werden kann". Denn aus der Betreuung folgt kein "Freibrief" in dem Sinne, dass der Betreute bei Nichterfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten von vornherein nicht bzw. nie sanktioniert werden könnte. Vielmehr kommt es zur Überzeugung des Senats wie ausgeführt immer auf sämtliche Umstände des Falles und damit insbesondere auch den Umstand der Betreuung an. Die Anordnung der Betreuung hat auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten keine unmittelbaren Auswirkungen (Diederichsen in: Palandt, BGB, 67. Auflage 2008, Einf. v. § 1896 Rn. 13); sie ist vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen (§§ 104 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Dass der Betreuer den Betreuten in seinem Aufgabenbereich gerichtlich und außergerichtlich vertritt gemäß § ...