nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung. aufschiebende Wirkung. einstweiliger Rechtsschutz. Herabsetzung der Leistung
Leitsatz (redaktionell)
1. Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung der Agentur für Arbeit, gem. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB I vom Arbeitslosengeld einen bestimmten Betrag zugunsten der unterhaltsberechtigten Kinder des Arbeitslosen abzuzweigen, haben aufschiebende Wirkung.
2. Es liegt insoweit keine Herabsetzung der Leistung nach § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Die Norm des § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG ist insoweit auch nicht entsprechend anzuwenden.
Normenkette
SGB I § 48 Abs. 1 S. 1; SGG § 86b Abs. 1 S. 2, § 86a Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 30.09.2004; Aktenzeichen S 30 AL 320/04 ER) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 30.09.2004 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren. Im Übrigen sind Kosten im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich im vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin, gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) von seinem Arbeitslosengeld einen Betrag von 49,91 EUR wöchentlich zugunsten seiner unterhaltsberechtigten Kinder abzuzweigen (Bescheid vom 19.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2004). Mit dem von der Antragsgegnerin im Wege der Beschwerde angegriffenen Beschluss hat das Sozialgericht (SG) die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller gegen diesen Bescheid erhobenen Rechtsbehelfe (Widerspruch und Klage) festgestellt (Beschluss vom 30.09.2004). Es liege keine Herabsetzung der Leistung nach § 86a Abs. 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor. Ungeachtet der Abzweigung sei der Antragsteller Berechtigter des Anspruchs auf Arbeitslosengeld geblieben. § 48 SGB I regele lediglich die Auszahlungsmodalitäten und bestimmte den Empfänger der Leistung. Dementsprechend bleibe der Antragsteller im Falle einer späteren Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung des überzahlten Arbeitslosengeldes Schuldner des gesamten und nicht nur des nach Abzweigung verbliebenen Betrages (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17.01.1991 - 7 RAr 72/90 - SozR 3-1300 § 50 SGB X).
Die hiergegen gerichtete zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet.
Das SG hat zu Recht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 22.06.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2004 festgestellt und sich für diese Entscheidung zutreffend auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG bezogen. Wegen der weiteren Begründung verweist der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG in entsprechender Anwendung).
Ohne Erfolg beruft sich die Antragsgegnerin demgegenüber für ihre Auffassung, § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG sei auf Abzweigungen im Sinne von § 48 Erstes Buch Sozialgesetzbuch entsprechend anzuwenden, auf die amtliche Begründung der §§ 86a, 86b SGG. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die der Regelung des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG zu Grunde liegende Zielvorstellung des Gesetzgebers, die finanzielle Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungsträger zu sichern (BT-Drucks. 14/5943, S. 25), auch die hier maßgebliche Bestimmung des § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG (mit-)trägt. Die Abzweigung dient nämlich nicht diesem Zweck. Die abgezweigten Beträge kommen allein dem jeweiligen Unterhaltsgläubiger, nicht aber dem Haushalt der Antragsgegnerin zugute. Die Abzweigung führt auch nicht mittelbar zu einer Entlastung der Antragsgegnerin. Denn die Unterhaltsgläubiger haben aufgrund ihrer Bedürftigkeit im Regelfall keine eigenen Ansprüche gegen sie. Im Hinblick hierauf stellt sich die Abzweigung entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch aus Sicht des Leistungsempfängers nicht als Herabsetzung seines Leistungsanspruchs dar. Anders als bei der tatsächlichen Herabsetzung wird bei der Abzweigung nämlich nicht in erster Linie über die Frage entschieden, welcher Betrag ihm zusteht, sondern, wie er darüber zu verfügen hat.
Die möglicherweise im Einzelfall notwendige sofortige Vollziehung der Entscheidung rechtfertigt es ebenfalls nicht, den Rechtsbehelfen gegen sie pauschal die aufschiebende Wirkung zu versagen. Vielmehr hat die Antragsgegnerin gegebenenfalls die Befugnis, gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehung "im überwiegenden Interesse eines Beteiligten", nämlich des nach § 12 Abs. 2 SGB X gegebenenfalls beteiligten Unterhaltsgläubigers, anzuordnen. Allerdings muss sie zuvor eine Interessenabwägung nach Maßgabe der individuellen Umstände anstellen. Die Notwendigkeit hierzu belegt im Übrigen, dass die auf den jeweiligen Einzelfall abhebende Vorschrift des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zur Lösung der Konfliktlage bei Unterhaltsfragen besser geeignet ist als § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG, der den Interessenausgleich zwischen dem Einzelnen und dem öffentlichen Interesse an der finanziellen Stabilität der Sozialversicherung pauschal rege...