Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für Leiharbeitnehmer nach dem equal-pay-Prinzip
Orientierungssatz
1. Nach § 28 p Abs. 1 S. 5 SGB 4 erlässt der Rentenversicherungsträger im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern.
2. Nach § 9 Nr. 2 S. 1 AÜG sind Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen, unwirksam. Nach S. 2 dieser Vorschrift ist eine vom equal-pay-Prinzip abweichende Regelung durch Tarifvertrag zulässig. Für den Fall einer Tarifbindung der Vertragsparteien ist ein wirksamer Tarifvertrag Voraussetzung. Daran fehlt es, wenn eine der Vertragsparteien nicht tariffähig ist.
3. Der Beitragsanspruch entsteht nach § 22 Abs. 1 SGB 4 mit dem Entstehen des Arbeitsentgeltsanspruchs, und zwar selbst dann, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder erst später gezahlt hat, bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt dagegen erst mit dessen Zufluss.
4. Der Rentenversicherungsträger kann nach § 28 f Abs. 2 S. 1 SGB 4 den Gesamtsozialversicherungsbeitrag von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn dieser die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Erweist sich ein Tarifvertrag wegen fehlender Tariffähigkeit einer Gewerkschaft als von Anfang an nichtig, so sind die Entgeltunterlagen objektiv unvollständig. Das ist z. B. dann der Fall, wenn Angaben über die wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers fehlen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des SG Dortmund vom 5.6.2014 geändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 22.4.2014 gegen den Betriebsprüfungsbescheid vom 7.4.2014 angeordnet, soweit die Antragsgegnerin darin Nachforderungen für den Zeitraum vom 1.1.2006 bis zum 31.12.2006 geltend macht. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt in beiden Rechtszügen die Kosten zu ¾ und die Antragsgegnerin zu ¼.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.887,67 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen einen Betriebsprüfungsbescheid der Antragsgegnerin, mit dem diese sie auf Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch nimmt.
Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft der O-Gruppe und verfügt über die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern. Sie hatte in der Vergangenheit Tarifverträge mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) abgeschlossen und angewandt.
Mit Bescheid vom 28.8.2010 schloss die Antragsgegnerin eine "stichprobenweise" durchgeführte Betriebsprüfung betreffend den Zeitraum vom 1.1.2006 bis zum 31.12.2009 ohne Beanstandungen ab. Im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft CGZP, deren Entscheidungsgründe am 28.2.2011 veröffentlicht wurden, führte die Antragsgegnerin in der Zeit vom 3.2.2014 bis zum 24.2.2014 erneut eine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin für den Prüfzeitraum 1.1.2006 bis 31.12.2009 durch.
Die Antragsgegnerin forderte sodann Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 103.550,66 Euro von der Antragsgegnerin nach (Bescheid v. 7.4.2014). Zur Begründung führte sie aus, in den Arbeitsverträgen zwischen der Antragstellerin und den bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmern werde für den gesamten Prüfzeitraum auf die mit der CGZP geschlossenen Haustarifverträge in der jeweils gültigen Fassung verwiesen. Auf der Basis der dort vorgesehenen Vergütungen habe die Antragstellerin die Beiträge für die Leiharbeitnehmer gezahlt sowie Meldungen und Beitragsnachweise zur Sozialversicherung abgegeben. Wegen der Unwirksamkeit des Tarifvertrages hätten die Beiträge jedoch nach § 10 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) nach den Entgeltansprüchen vergleichbarer Arbeitnehmer der Stammbelegschaft des Entleihers berechnet werden müssen. Sie, die Antragsgegnerin, habe die Höhe der Arbeitsentgelte geschätzt. Hierzu sei sie befugt gewesen, weil eine Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte - wenn überhaupt - nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen wäre. Eine große Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse habe nur bis zu drei Monaten gedauert. Es sei nur im geringen Umfang möglich gewesen, schriftliche Erklärungen über equal-pay-Löhne zu bekommen. Es zeige sich eine durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Leiharbeitnehmern und vergleichbaren Stammarbeitnehmern von 24 %. Dieser Prozentsatz gründe sich im Wesentlichen auf die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschungen (IAB) "Lohn...