Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen aufenthaltsberechtigten Unionsbürger durch einstweiligen Rechtschutz
Orientierungssatz
1. Der ausländische Antragsteller zu Leistungen des SGB 2 ist nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen, wenn er über ein anderes als das in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2b SGB 2 genannte Aufenthaltsrecht verfügt.
2. Bei Ausübung einer Beschäftigung in Deutschland hat der Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10b EUV 492/2011.
3. Nach § 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 SGB 2 erhalten Leistungen auch diejenigen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenleben.
4. Nach § 7 Abs. 1 S. Nr. 4 SGB 2 i. V. m. § 30 Abs. 1 SGB 1 hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt. Dies gilt auch dann, wenn eine aufgrund einer ausländerbehördlichen Anordnung bestehende Ausreisepflicht nicht vollziehbar ist, weil die Ausländerbehörde es versäumt hat, die sofortige Vollziehung anzuordnen.
5. Leistungsausschlüsse bei existenzsichernden Leistungen sind eng auszulegen und im Grundsatz der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers vorbehalten (BSG Urteil vom 3. 12. 2015, B 4 AS 44/15 R).
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 15.5.2018 geändert: Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig verpflichtet, den Antragsstellern zu 1, 2, 4 und 5 für die Zeit ab dem 1.6.2018 bis zum 8.10.2018 Regelleistung bzw. Sozialgeld nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Anrechnung des bereinigten Einkommens des Antragstellers zu 1 zu gewähren. Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 1, 2, 4 und 5 für das Beschwerdeverfahren dem Grunde nach zu 1/2; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
Die Antragsteller begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
Die gem. § 172 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässigen Beschwerden der Antragsteller sind in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen sind sie unbegründet.
1) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen - § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 -, Rn. 26, juris ).
Der Beginn des Zeitraums, über welchen der Senat in diesem Beschwerdeverfahren zu entscheiden hatte, ergibt sich aus dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz im erstinstanzlichen Verfahren. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens werden Leistungen für die Zeit vor Antragstellung bei Gericht regelmäßig nicht zugesprochen, weil solche Leistungen nicht dazu dienen, den gegenwärtigen Bedarf des Leistungsempfängers zu decken (siehe beispielsweise LSG NRW, 24.1.2012 - L 12 AS 1773/11 B ER -, Rn. 15, juris; 7.4.2009 - L 19 B 114/09 AS ER -, Rn. 8, juris). Das Ende ergibt sich hier aus folgenden Erwägungen: Die Antragsteller haben am 9.10.2018 einen weiteren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (SG Dortmund, S 37 AS 5034/18 ER). Den Zeitraum ab diesem (neuen) Antrag hat der Senat seiner Entscheidung vom heutigen Tag über das Beschwerdeverfahren in dieser Angelegenheit (L 21 AS 1850/18 B ER) berücksichtigt.
a) Die Antragstellerin zu 3 konnte einen Leistungsanspruch bereits deshalb nicht glaubhaft machen, weil es Anhaltspunkte dafür, dass sie in dem Haushalt der Antragsteller zu 1 und 2 lebt, nicht gibt; Nachfragen des Senats dazu wie auch zu dem Verw...