Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe des SGB 2
Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe besteht für das erstanhängige gerichtliche Verfahren eines betroffenen Klägers, mit dem die Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfe des SGB 2 geltend gemacht wird, vgl. BSG, Urteil vom 09. Februar 2010 - 1 BvL 1/09.
2. Inwieweit der Gesetzgeber die Anforderungen des BVerfG in dessen Urteil vom 9. 2. 2010 zu einem geeigneten Berechnungsverfahren zur Bemessung des Existenzminimums hinsichtlich des Regelbedarfs erfüllt hat, ist umstritten.
3. Das BSG wird die Klärung dieser Rechtsfrage nicht herbeiführen können. Nur das BVerfG wird abschließend über die Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelungen zum Regelbedarf mit der Verfassung befinden können.
4. Wurde PKH einem Betroffenen für ein Klageverfahren mit diesem Streitgegenstand bereits bewilligt, so besteht für die weiteren Zeiträume für denselben Leistungsberechtigten bei Parallelität der Fallgestaltung grundsätzlich kein Anspruch auf PKH, vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 2011 - 1 BvR 3151/10.
Tenor
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 27.03.2012 geändert. Den Klägern wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt O aus N beigeordnet.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Die abschließende Klärung der Sach- und Rechtslage darf nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren, in dem nur eine summarische Prüfung erfolgt, vorverlagert werden. Letzte Zweifel an der rechtlichen Beurteilung müssen nicht ausgeschlossen sein, denn eine endgültige und abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Regel weder möglich noch notwendig (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 73a Rn. 7, 7a, 7b). Es reicht für die Bejahung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R). Diese ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn der Rechtsstandpunkt des Klägers vertretbar ist und die behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen nachweisbar erscheinen (Hdb SGG - Udsching, VI Rn. 60; Leitherer, a.a.O., Rn. 7).
Die Klage vom 01.02.2012 gegen den Bescheid vom 15.12.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012 hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinreichende Erfolgsaussicht ist auch dann anzunehmen, wenn der Ausgang eines Verfahrens von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt. Eine Erfolgsaussicht in diesem Sinne ist auch nicht deswegen zu verneinen, weil die Klärung der Verfassungskonformität der Neuregelung des Regelbedarfs nicht die Verurteilung des Leistungsträgers zur Gewährung eines höheren, genau bezifferten Regelbedarfs bedingt (so LSG NRW, Beschluss vom 15.12.2011 - L 2 AS 1928/11 B). Dies ergibt sich auch mittelbar aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ([BVerfG], Urteile vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Denn das BVerfG bestimmt genau in dieser Konstellation, dass "die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschriften und ihrer Nachfolgeregelungen bei Kostenentscheidungen zugunsten der klagenden Hilfebedürftigen angemessen zu berücksichtigen seien, soweit dies die gesetzlichen Bestimmungen ermöglichen" (BVerfG, a.a.O., Rn. 219). Die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage ist somit davon abhängig, ob eine gute Möglichkeit des Obsiegens in Bezug auf die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit besteht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.10.2011 - L 7 AY 3538/11 B; Düring in Jansen, SGG, § 73a Rn. 12).
Diese gute Möglichkeit des Obsiegens ist unter Beachtung des Vortrages der Kläger, die mit Bescheid vom 15.12.2011 für die Zeit von Januar 2012 bis Juni 2012 berücksichtigten Regelbedarfe seien der Höhe nach verfassungswidrig festgesetzt, zu bejahen. Es handelt sich nach Auffassung des Senats um die bisher nicht geklärte Rechtsfrage, ob das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG SGB II, SGB XII ÄndG) die vom BVerfG aufgezeigten Anforderungen erfüllt (BVerfG, a.a.O., Rn. 139 ff.).
Ausgehend vom dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) obliegt es dem Gesetzgeber, dem das BVerfG insoweit einen Gestaltungsspielraum mit...