Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsgewährung an EU-Ausländer. Freizügigkeit naher Angehöriger. Anforderungen die Annahme einer Unterhaltsleistung als Voraussetzung der Freizügigkeit

 

Orientierungssatz

1. Eine die Freizügigkeit naher Familienangehöriger begründende Unterhaltsgewährung im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU ist schon dann gegeben, wenn eine fortgesetzte regelmäßige Unterstützung gewährt wird, die jedenfalls einen Teil des Lebensbedarfs deckt. Eine vollständige Bedarfsdeckung ist dabei nicht gefordert.

2. Einzelfall zur Folgenabwägung im sozialgerichtlichen Eilverfahren über die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende an EU-Ausländer (hier: Folgenabwägung zugunsten der EU-Ausländer bejaht).

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 17.02.2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T, C, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich gegen seine einstweilige Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs.

Die im Juli 1991 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre Tochter, die im September 2013 geborene Antragstellerin zu 2) sind griechische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1) und ihr Verlobter, T T (griechischer Staatsangehöriger, geboren 1988), der Vater der Antragstellerin zu 2), wollen in naher Zukunft heiraten und eine eigene Wohnung anmieten. Die Antragstellerinnen reisten am 18.12.2014 zusammen mit T T in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seitdem leben die Antragstellerinnen bei den Eltern der Antragstellerin zu 1). Die Eltern der Antragstellerin zu 1) üben eine geringfügige Beschäftigung aus (Einkommen 400,02 EUR bzw. 450,00 EUR brutto monatlich) und beziehen zusammen mit ihren (weiteren) vier Kindern Grundsicherung. T T wohnt bei I B in C und ist seit 12.01.2015 in Vollzeit erwerbstätig (Einkommen ca. 900,00 EUR netto monatlich).

Am 22.12.2014 beantragten die Antragstellerinnen Leistungen der Grundsicherung bei dem Antragsgegner. Über diesen Antrag ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden. Die Antragstellerin zu 1) teilte insoweit mit, sie sei derzeit auf Jobsuche, zumindest für eine geringfügige Beschäftigung.

Am 12.01.2015 haben die Antragstellerinnen beim Sozialgericht Detmold beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelsatzes zu verpflichten. Sie hätten als Unionsbürger einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. 2 SGB II sei europarechtswidrig. Jedenfalls in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes bestünde ein Leistungsanspruch aufgrund von Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG. Danach sei sie, die Antragstellerin zu 1), Arbeitnehmerin. Sie sei arbeitsuchend, jedoch könne sie derzeit nicht arbeiten, da sie noch keinen Kindergartenplatz für die Antragstellerin zu 2) gefunden habe. Hierdurch verliere sie wegen § 15 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) jedoch nicht ihren Status als Arbeitnehmerin. Sobald Leistungen bewilligt seien, solle eine gemeinsame Wohnung mit T T angemietet werden. Auf den Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen der Antragstellerin zu 1) vom 12.01.2015, 30.01.2015 und 20.02.2015 wird Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 17.02.2014 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig den Regelbedarf für die Zeit vom 12.01.2015 bis 17.03.2015 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Die Antragstellerin zu 1) habe einen Anordnungsanspruch nach §§ 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 9, 20 ff. SGB II glaubhaft gemacht. Leistungen erhalte auch die Antragstellerin zu 2) als Person, die mit einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebe (§ 7 Abs. 2 S. 1 SGB II). Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II lägen vor, was zwischen den Beteiligten unstreitig bzw. durch die eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht sei. Die Antragstellerinnen seien im tenorierten Umfang auch nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 SGB II von den Leistungen ausgeschlossen. Ausgeschlossen seien danach (1) Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 FreizG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, sowie (2) Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, und ihre Familienangehörigen. Die Antragstellerinnen seien zunächst nicht vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II betroffen. Der Ausschlusstatbestand...

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