Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Leistungen der freiwilligen Krankenversicherung durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Der freiwilligen Krankenversicherung können u. a. Personen beitreten, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen zumindest zwölf Monate versichert waren. Dabei sind Zeiten, in denen die Versicherung allein deshalb bestanden hat, weil Arbeitslosengeld 2 zu Unrecht bezogen wurde, nicht zu berücksichtigen.
2. Wurde die Entscheidung, die zum Bezug von Leistungen des SGB 2 geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt, so trifft diese Regelung keine Aussage dazu, wie die entsprechende Zeit der Pflichtversicherung als Vorversicherungszeit für eine freiwillige Krankenversicherung zu bewerten ist.
3. Die Regelung des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 5 verhindert, dass ein wegen fehlender Erwerbsfähigkeit rechtswidriger Bezug von Arbeitslosengeld 2 dazu führt, dass nach Ende des unrechtmäßigen Leistungsbezuges eine dauerhafte freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung begründet werden kann.
4. Wurde ein Einigungsstellenverfahren zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit des Arbeitsuchenden weder eingeleitet, noch durchgeführt, so hat die Krankenkasse kein eigenes Beurteilungsrecht bei der Frage des rechtmäßigen Bezuges von Arbeitslosengeld 2 im Rahmen von § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 5.
5. Mit der ab 1. 8. 2006 geltenden neuen Rechtslage hat die Krankenkasse aber die Möglichkeit, aus eigenem Antragsrecht heraus gegen die aus ihrer Sicht fehlerhafte Feststellung der Agentur für Arbeit bzw. der ARGE vorzugehen.
Tenor
1. Auf die Beschwerden der Beigeladenen und des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 13.6.2006 abgeändert. Es wird vorläufig, bis zur bestandskräftigen Entscheidung über das Bestehen einer freiwilligen Krankenversicherung, festgestellt, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen der freiwilligen Krankenversicherung nach dem SGB V zu gewähren hat.
2. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen. Die Beigeladene trägt keine Kosten.
Gründe
Zwischen den Beteiligten ist in erster Linie streitig, ob der Antragsteller (Ast) die Voraussetzungen für die freiwillige Versicherung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 SGB V erfüllt, insbesondere ob die erforderliche Vorversicherungszeit deshalb nicht gegeben ist, weil der Ast zu Unrecht Arbeitslosengeld II (Alg II) bezogen hat.
I.
Der am 00.00.1965 in L geborene, ungelernte Ast, der seit über 15 Jahren an einer schizophrenen Erkrankung mit Wahninhalten (Grad der Behinderung 50) leidet, bezog erstmals in der Zeit vom 15.08.1999 bis Ende 2004 Leistungen der Sozialhilfe. Mit Beschlüssen des Amtsgerichtes Köln vom 24.07.2001 und 11.10.2004 wurde Frau D M bis zum 27.07.2007 zur Betreuerin für den Ast bestellt (Aufgabenkreis: Vermögenssorge, Vertretung bei Behörden sowie Entscheidung über Empfang und Öffnen der Post).
Vom 01.01.2005 bis 30.04.2006 erhielt der Ast Alg II von der zuständigen Arbeitsgemeinschaft Köln (ARGE Köln, § 44b SGB II) sowie Eingliederungshilfe vom überörtlichen Träger der Sozialhilfe (Landschaftsverband Rheinland). Zum 01.01.2005 wurde auch die Mitgliedschaft des Ast bei der Antragsgegnerin (Ag) begründet. Diese wandte sich allerdings mit Schreiben vom 28.01.2005 an die ARGE Köln, da Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Ast bestünden. Sie bat darum, ein Einigungsstellenverfahren gem. § 45 SGB II einzuleiten und sie, die Ag, über den Ausgang des Verfahrens zu informieren.
Nachdem der ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit Köln im Rahmen eines Gutachtens nach Aktenlage vom 08.03.2006 festgestellt hatte, dass der Ast täglich weniger als drei Stunden arbeiten könne und die Erwerbsfähigkeit dauerhaft (voraussichtlich länger als sechs Monate) aufgehoben sei, teilte die ARGE Köln dem Ast mit Schreiben vom 18.03.2006 mit, dass die laufenden Leistungen nach dem SGB II zu Ende April 2006 eingestellt werden würden, was tatsächlich auch geschah.
Am 18.03.2006 wandte sich der Ast an die Beigeladene und beantragte Hilfe zum Lebensunterhalt ab 01.05.2006. Ein Ersuchen der Beigeladenen nach § 45 Abs. 1 SGB XII an die Deutsche Rentenversicherung Rheinland bestätigte, dass der Ast gegenwärtig voll erwerbsgemindert ist (Schreiben der Deutsche Rentenversicherung Rheinland vom 27.04.2006). Die Beigeladene gab dem Ast auf, einen Nachweis über der Beantragung einer freiwilligen Krankenversicherung vorzulegen, denn dies sei zur Prüfung des Anspruchs auf Sozialhilfe bzw. Grundsicherung erforderlich. Deshalb beantragte der Ast bei der Ag die Aufnahme als freiwillig Versicherter zum 01.05.2006. Die Ag lehnte dieses ab (Bescheid vom 09.05.2006), denn schon zum Zeitpunkt der Begründung der Mitgliedschaft als Pflichtversicherter zum 01.01.2005 hätten Zweifel an der Erwerbsfähigkeit bestanden. Da die Prüfung durch die gutachtende...