Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss eines Vertragsarztes vom Notfalldienst durch die Kassenärztliche Vereinigung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes

 

Orientierungssatz

1. Ein zugelassener Vertragsarzt ist zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst verpflichtet. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ist im Rahmen des ihr nach § 75 Abs. 1 S. 2 SGB 5 obliegenden Sicherstellungsauftrags verpflichtet, den Notfalldienst zu organisieren und einzurichten.

2. Die KV hat den Notfalldienst ordnungsgemäß und flächendeckend zu organisieren. Erweist sich ein Vertragsarzt für die Ausübung des Notfalldienstes als ungeeignet, so ist sie verpflichtet, diesen vom Notfalldienst auszuschließen. Ein generell-abstraktes Gefährdungspotential rechtfertigt den Ausschluss, weil ein ungeeigneter Arzt das Patientenwohl gefährden kann.

3. Die sofortige Vollziehung des Ausschlusses kann nach § 86b Abs. 1 SGG im Rahmen der Folgenabwägung vom Gericht angeordnet werden. Allein eine konkrete Patientengefährdung rechtfertigt den Sofortvollzug. Dem Interesse der KV, ungeeignete Ärzte vom Notfalldienst auszuschließen, sind etwaige Einkommenseinbußen des Vertragsarztes unterzuordnen.

 

Normenkette

SGB V § 75 Abs. 1 S. 2; SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 86a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 5; GNO § 1 Abs. 1, §§ 2, 8 Abs. 1, § 12 Abs. 1-2, 3 S. 1

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 10.03.2014 abgeändert. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 02.10.2013 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Bescheides, mit dem die Antragsgegnerin ihn vom ärztlichen Notfalldienst ausgeschlossen hat.

Der am 00.00.1930 geborene Antragsteller war von 1976 bis 1998 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und nimmt seit Dezember 2009 erneut als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Er übernahm in der Vergangenheit regelmäßig Notdienste, die jedenfalls seit Jahr 2011 einen Großteil seiner Behandlungsfälle ausmachen.

Im Januar 2013 wandten sich mehrere im ärztlichen Notfalldienst tätige Medizinische Fachangestellte an die Bezirksstelle E der Antragsgegnerin, in denen diese von Vorfällen bei den vom Antragsteller übernommenen Notfalldiensten berichteten. Der Antragsteller stütze sich bei Untersuchungen ab bzw. könne kaum noch stehen, er höre schlecht, untersuche Patienten nicht, obgleich dies nach den Umständen offensichtlich geboten sei, weigere sich, das Rezept für die "Pille danach" auszustellen, verordne ohne Untersuchung Antibiotika und frage bei den Mitarbeiterinnen nach, was zu tun sei. Berichtet wird ferner davon, dass der Antragsteller zumindest in einem Fall nach der Diagnose ein falsches Medikament verschrieben habe.

Nach vorgeschalteten Gesprächen und Schriftwechsel mit dem Antragsteller beantragte der Leiter der Bezirksstelle E am 11.03.2013 beim Vorstand der Antragsgegnerin den Ausschuss des Antragstellers vom ärztlichen Notfalldienst. Parallel dazu klärte die Bezirksstelle den Sachverhalt weiter auf. Die Regionalgeschäftsstelle C der K-Unfallhilfe teilte auf Anfrage am 02.04.2013 mit (wortgetreu zitiert):

"Herr Dr. G wurde von sämtlichen Fahrern, als netter höfflicher Arzt beschrieben. Altersbedingt ist es Ihm nicht mehr möglich, selbständig die Formulare auszufüllen. Des Weiteren wird Ihn der Koffer von den Fahrern getragen. Teilweise Erkundigt sich Herr Dr. G bei dem diensthabenden Pflegepersonal, als auch bei den Fahrern, was diese für Medikamente von Ihrem Arzt verschrieben bekämen, bei den Symptomen die der Patient vorweist. Über seine Fachliche Kompetenz, können die Fahrer nicht urteilen da Ihnen das Wissen fehlt. Aufgefallen ist nur, das Patienten, Pflegepersonal oder auch Angehörige ein bisschen seltsam schauen, wenn Dr. G als diensthabender Arzt vorgestellt wird."

Mit Schreiben vom 20.08., 28.08. und 09.09.2013 wurde der Antragsteller zu einem erneuten persönlichen Gespräch in die Bezirksstelle E der Antragsgegnerin eingeladen. Darin bezog sich der Bezirksstellenleiter auf das Angebot des Antragstellers, die physische Belastungsgrenze prüfen zu lassen. Das für den 16.09.2013 avisierte weitere Gespräch sagte der Antragsteller sodann am 16.09.2013 ab, da er über den Gesprächsgegenstand nicht vorab unterrichtet worden sei.

Da der Vorstand der Antragsgegnerin auf den Antrag der Bezirksstelle vom 11.03.2013 nach Aktenlage keinerlei Aktivitäten entfaltete, beantragte der Bezirksstellenleiter der Antragsgegnerin 18.09.2013 erneut und nunmehr drängend, dem Antragsteller die Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst zu untersagen. Der Antragsteller stelle aufgrund seiner mangelnden fachlichen wie persönlichen Fähigkeiten eine Gefahr für die Patienten dar. In der Antragsschrift wurde der Sachverhalt im Einzelnen und umfangreich dargestellt.

Mit Bescheid vom 02.10.2013 schloss die Antragsgegnerin den Antragsteller wegen fachl...

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