Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachentrichtung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen bei Arbeitnehmerüberlassung
Orientierungssatz
1. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe nach § 28 p SGB 4. Nach § 28 e Abs. 1 SGB 4 hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten zu entrichten.
2. Im Fall der Arbeitnehmerüberlassung ist in arbeitsrechtlicher Hinsicht der Entleiher Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers, wenn der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG, d. h. wegen Fehlens der erforderlichen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 1 AÜG unwirksam ist.
3. Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn der Verleiher dem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, die voll in den Betrieb des Entleihers eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach dessen Weisungen ausführen. Maßgeblich für die rechtliche Einordnung der jeweiligen Verträge ist der wirkliche Geschäftsinhalt, der sich aus der ausdrücklichen Vereinbarung und der praktischen Durchführung des Vertrags ergibt, vgl. BSG, Urteil vom 11. Februar 1988 - 7 RAr 5/86 und BAG, Urteil vom 06. August 2003 - 7 AZR 180/03.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 15.03.2012 geändert. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 28.4.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2011 wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 316.775,38 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.4.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2011, mit dem die Antragsgegnerin im Anschluss an eine Betriebsprüfung eine Beitragsnachforderung in Höhe von 1.267.101,52 Euro einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 571.424,50 Euro geltend macht.
Die Antragstellerin, ein Zerlege- und Verarbeitungsbetrieb für Kalbfleisch, setzte im Bereich der Zerlegearbeiten unter anderem Arbeiter aus Rumänien und Ungarn ein. Der Einsatz der rumänischen Arbeitskräfte erfolgte dabei auf der Grundlage genehmigter Werkverträge über die Q GmbH, die ihrerseits ein rumänisches Unternehmen mit der Beschaffung der Arbeitskräfte beauftragte.
Im Anschluss an Ermittlungen der Staatsanwaltschaft (StA) E und des Hauptzollamtes L kam die Antragsgegnerin als prüfender Träger der Rentenversicherung zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich dieser Arbeitskräfte eine illegale Arbeitnehmerüberlassung an die Antragstellerin vorliege. Mit Schreiben vom 12.10.2010 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin hierzu mit, ihre dahingehende Beurteilung beruhe insbesondere auf folgenden Feststellungen: Die Weisungsbefugnis habe bei einem Mitarbeiter der Antragstellerin gelegen. Es sei zu einer Vermischung von Arbeitskräften gekommen. Das rumänische Subunternehmen habe in Rumänien keine eigene Produktionsstätte. Die Arbeitskräfte hätten erst angelernt werden müssen. Die Anzahl der Arbeitnehmer und ihre Tätigkeitsfelder seien dem Auftragnehmer vorgegeben worden. Dem Bevollmächtigten der Antragstellerin wurde außerdem eine CD mit den gesamten, auch zahlreiche andere Schlachthöfe, Unternehmen und Beschuldigte betreffenden Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt. Im Hinblick auf die Menge der zur Verfügung gestellten Informationen sah der Bevollmächtigte der Antragstellerin es als kaum möglich an, die die Antragstellerin betreffenden Aktenstücke zu finden und zu bewerten.
Gestützt auf die genannten Feststellungen setzte die Antragsgegnerin sodann die von der Antragstellerin angegriffene Nachforderung nebst Säumniszuschlägen fest. Der Widerspruchsbescheid vom 24.11.2011 enthielt dabei erstmals Angaben zu einzelnen Beweismitteln. Er ging dem Bevollmächtigten der Antragstellerin nach eigenen Angaben am 1.12.2011 zu. Die Antragstellerin hat sich gegen diesen Widerspruchsbescheid mit einem Schriftsatz gewandt, der beim Sozialgericht (SG) am 2.1.2012 zuging.
Mit ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat die Antragstellerin vorgetragen: Es fehle an einer ordnungsgemäßen Anhörung. Die Antragsgegnerin habe nicht dargelegt, auf welche staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sie ihren Bescheid stütze. Dieser sei zudem nicht ordnungsgemäß begründet. Die Antragsgegnerin habe ihre Verpflichtung zur Amtsermittlung verletzt. Zudem habe keine Betriebsprüfung stattgefunden. Es liege vielmehr nur die Entscheidung einer Prüfabteilung der Antragsgegnerin vor. In inhaltlicher Hinsicht hafte sie, die Antragstellerin, nicht für Lohnzahlungen an die in ihrem Schlachthof beschäftigten Arbeitnehmer. Seit Jahren vergebe sie die Zerlegearbeiten an selbständige Subunternehmer. Eine Vermischung von deren Arbeitskräften mit ihren eigenen habe zu keine...