Entscheidungsstichwort (Thema)
Prognoseentscheidung des SGB 2-Leistungsträgers bei Strafhaft nd anschließender Entwöhnungsbehandlung des Hilfebedürftigen
Orientierungssatz
1. Bei der Anwendung des § 7 Abs. 4 SGB 2 ist eine Prognoseentscheidung zu treffen, ob der Hilfebedürftige länger als sechs Monate in einer Einrichtung untergebracht sein wird. Maßgeblicher Prognosezeitpunkt ist der Beginn der stationären Behandlung.
2. Bei einer Strafhaft mit anschließender Drogenentwöhnungsbehandlung kommt es darauf an, ob bei Beginn der Strafhaft prognostizierbar war, dass der Inhaftierte unmittelbar im Anschluss an die Haft eine Drogenentwöhnungsbehandlung durchführen würde.
3. Der Arbeitsuchende hat ein als schützenswert anerkanntes Interesse daran, dass ein Zuständigkeitsstreit zwischen den Leistungsträgern nicht auf seinem Rücken ausgetragen wird. Die Nahtlosigkeitsregelung des § 44 Abs. 1 S. 3 SGB 2 hat für den Grundsicherungsträger zur Folge, dass er im Außenverhältnis in der Zeit bis zur Entscheidung der Einigungsstelle endgültig zur Leistung verpflichtet ist.
4. Die Anwendbarkeit des § 44a SGB 2 setzt voraus, dass zwischen dem Grundsicherungsträger und dem Sozialhilfeträger ein Streit über die Erwerbsfähigkeit des Arbeitsuchenden besteht. Die Frage, ob ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 2 SGB 2 besteht, wird hiervon nicht erfasst.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 10.09.2007 wird aufgehoben. Dem Kläger wird für die Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin F X aus C für die Zeit ab dem 05.09.2007 (Antragstellung) gewährt.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers, der das Sozialgericht (SG) am 16.10.2007 nicht abgeholfen hat, ist zulässig und begründet. Denn die Rechtsverfolgung des Klägers, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO)).
Denn der Sachverhalt bedarf weiterer Aufklärung. Derzeit ist nicht abschließend zu beurteilen, ob dem Begehren des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 SGB II anspruchsvernichtend entgegensteht.
1. Das SG hat in seinem angefochtenen Beschluss vom 10.09.2007 ausgeführt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs. 4 SGB II seien erfüllt. Ob dies zutrifft, kann ohne weitere Sachverhaltsermittlung nicht beurteilt werden.
a) Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Klägers, wonach § 7 Abs. 4 SGB II in seiner alten, ursprünglichen Fassung (a.F.) so zu lesen sei, dass diese Regelung Leistungen nur für die Zeit nach den ersten sechs Monaten ausschließe. Denn bei der Anwendung des § 7 Abs. 4 SGB II ist eine Prognoseentscheidung zu treffen (so zu § 7 Abs. 4 SGB II a.F. jetzt Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 60/06 R, Juris; ebenso Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 7 Rn. 35; vgl. zum neuen Recht Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 7 Rn. 81; Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 7 Rn. 67 (Stand: II/2007)).
Dass eine derartige Prognoseentscheidung zu treffen ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 SGB II a.F. ("für länger als sechs Monate"; vgl. BSG a.a.O.). Die Notwendigkeit, eine Prognoseentscheidung zu treffen, folgt aber auch aus dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 4 SGB II. Dieser grenzt die Zuständigkeitsbereiche der Grundsicherungsträger nach dem SGB II von den Sozialhilfeträgern nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) voneinander ab. Diese Zuständigkeitsfrage ist im Interesse des Arbeitsuchenden vorausschauend - und nicht rückblickend - zu klären. Denn der Arbeitsuchende hat ein berechtigtes und von der Gesetzgebung als schützenswert anerkanntes Interesse (vgl. § 44 a Abs. 1 Satz 3 SGB II, dazu sogleich) daran, dass ein Zuständigkeitsstreit zwischen den Leistungsträgern nicht "auf seinem Rücken" ausgetragen wird. Aus diesem Grund verpflichtet § 7 Abs. 4 SGB II a.F. den Leistungsträger zu einer vorausschauenden Beurteilung. Ein eventueller Wechsel des Leistungsträgers nach nur kurzer Zeit wird so zudem vermieden (BSG a.a.O.).
b) Das SG wird aufzuklären haben, ob zu prognostizieren gewesen war, dass der Kläger "länger als sechs Monate" (§ 7 Abs. 4 SGB II in seiner ursprünglichen, alten Fassung (a.F.)) in einer "Einrichtung" untergebracht sein würde.
aa) Der Kläger befand sich ab dem 14.03.2006 in der Einrichtung "X" zur stationären Drogenentwöhnungsbehandlung; die Deutsche Rentenversicherung Rheinland hatte ihm mit Bescheid vom 23.12.2005 eine entsprechende stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation für voraussichtlich 26 Wochen bewilligt. Anfangs war offenbar noch beabsichtigt, dass diese Drogenentwöhnungsbehandlung am 15.09.2006 enden sollte. Die Drogenhilfe L e.V. a...