Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweilige Anordnung sowie Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen Regress wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen. Beratung vor Regress. Anwendung des § 106 Abs 5e SGB 5 auf laufende oder abgeschlossene Prüfverfahren. keine Sperrwirkung des § 106 Abs 5e SGB 5 bei nicht erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens
Orientierungssatz
1. Zum Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen.
2. Dem Wortlaut des § 106 Abs 5e S 1 und S 2 SGB 5 idF des GKV-VStG ist nicht zu entnehmen, ob diese Regelung auf schon abgeschlossene Prüfzeiträume oder laufende Prüfverfahren anzuwenden ist. Art 15 GKV-VStG bestimmt lediglich den Zeitpunkt des Inkrafttretens. Eine Übergangsregelung fehlt.
3. Ist es in der Vergangenheit schon zur Überschreitung des Richtgrößenvolumens gekommen, greift die Sperrwirkung des § 106 Abs 5e SGB 5 nicht.
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.08.2013 abgeändert. Der Antrag des Beschwerdegegners wird abgelehnt. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.775,42 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtsmäßigkeit eines Regresses wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen im Jahre 2010.
Der Antragsteller ist als hausärztlich tätiger Facharzt für Innere Medizin in U niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Wegen Überschreitens der Arzneimittelrichtgrößen setzte die Prüfungsstelle für die Quartale I/2010 bis IV/2010 einen Regress in Höhe von 87.754,20 EUR fest (Bescheid vom 04.12.2012). Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 01.07.2013). Hiergegen hat der Antragsteller die unter dem Aktenzeichen S 33 KA 267/13 bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf anhängige Klage erhoben. Das von ihm zeitgleich beim Antragsgegner angebrachte Ersuchen, die sofortige Vollziehung des Bescheides bis zum Abschluss des Klageverfahrens auszusetzen, lehnte dieser unter dem 22.07.2013 ab.
Hierauf hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 23.07.2013 (Eingang 25.07.2013) das SG zwecks Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes angerufen. Die aufschiebende Wirkung sei anzuordnen, da sein Interesse das behördliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiege. Der Bescheid des Antragsgegners sei offensichtlich rechtswidrig und verletze ihn in seinen subjektiven Rechten. Die Regressfestsetzung verstoße gegen den Grundsatz "Beratung vor Regress". Da in keinem der vorangegangenen Richtgrößenprüfverfahren die gesetzlich geforderte individuelle Beratung erfolgt sei, könne der angefochtene Bescheid wegen Verstoßes gegen die Vorgaben des § 106 Abs. 5e Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) keinen Bestand haben. Der Regress erschüttere seine finanziellen Kapazitäten nachhaltig. Auch im Übrigen sei der Bescheid rechtswidrig. Er habe fehlerhaft nicht berücksichtigte Praxisbesonderheiten dargelegt. Die Prüfgremien hätten den hierdurch verursachten Bedarf fälschlich nicht bzw. nicht hinreichend anerkannt. Er betreue ein besonderes Patientengut mit gastroenterologischen und psychosomatischen Krankheitsbildern sowie eine hohe Zahl Diabetiker.
Der Antragsteller hat beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 11.07.2013, Eingang beim Sozialgericht am 15.07.2013, Az. S 33 KA 267/13, gegen den Beschluss des Beschwerdeausschusses vom 01.07.2013 gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen.
Er hat geltend gemacht: Es handele sich nicht um eine erstmalige Überschreitung. Der Antragsteller habe bereits in den Prüfungsjahren 2006 und 2009 die Richtgrößensummen für Arzneimittel um mehr als 25 v.H. überschritten. Der in § 106 Abs. 5e SGB V normierte Grundsatz "Beratung vor Regress" greife schon deswegen nicht, weil der Antragsteller das Richtgrößenvolumen in 2010 nicht "erstmalig" überschritten habe.
Das SG hat mit Beschluss vom 22.08.2013 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 01.07.2013 hergestellt. Der Grundsatz "Beratung vor Regress" sei auf die Bescheidung vom 01.07.2013 anzuwenden. Dies folge aus der Ergänzung des § 106 Abs. 5e SGB V um einen Satz 7 mit Wirkung zum 26.10.2012. Nach dieser Bestimmung gelte § 106 Abs. 5e SGB V "auch für Verfahren, die am 31.12.2012 noch nicht abgeschlossen waren". Dabei handele es sich um eine nachträglich rückwirkende Änderung, die auch für Verfahren in der Zeit zwischen dem Wirksamwerden des § 106 Abs. 5e SGB V (01.01.2012) und dem Inkrafttreten der Ergänzung dieser Bestimmung zum 26.10.2012 anzuwenden sei. Zudem sei als erstmalige Überschreitung des Richtgrößenvolumens im Sinne des § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V diejenige Überschreitung anzusehen, auf die erstmals die in der genannten Vorschrift geforderte Beratung stattfinde. Frühere...