Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Amtsenthebung des Mitglieds des Verwaltungsrats einer Krankenkasse wegen grober Verletzung der Amtspflichten
Orientierungssatz
1. Der Verwaltungsrat einer Krankenkasse hat nach §§ 59 Abs. 3 und 4, 31 Abs. 3a und 33 Abs. 3 S. 3 SGB 4 dessen Mitglied seines Amtes zu entheben, wenn dieses in grober Weise gegen seine Amtspflichten verstoßen hat.
2. Ein Verstoß ist i. S. des § 59 Abs. 3 S. 1 SGB 4 grob, wenn er objektiv nach Art und Inhalt sowie in seiner Auswirkung auf die Belange des Versicherungsträgers erheblich verstößt und dies schuldhaft geschieht (BSG Urteil vom 29. 6. 1979, 8b RK 4/79).
3. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn das Verwaltungsratsmitglied unter Umgehung einer entsprechenden Beschlussfassung des Verwaltungsrats eigenmächtig Einsicht in Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft beantragt. Damit maßt es sich dem Kollegialorgan bzw. dessen Vorsitzenden zustehende Befugnisse an.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 11.12.2020 geändert.
Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20.07.2020 wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auf 1.667 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller (Ast) begehrt die Herstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners (Ag) vom 20.07.2020, mit dem er seines Amtes als Mitglied des Verwaltungsrates enthoben wurde.
Der Ast wurde mit der Sozialwahl im Jahr 2017 als Mitglied des Vereins C in den Ag gewählt und war seitdem Fraktionssprecher des Vereins.
Im März 2018 berichtete der Vorstand der C gegenüber dem Ag über staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Mitarbeiter der C, die mit Durchsuchungen in Geschäftsräumen in X und in C1 verbunden waren. Die laufenden Ermittlungen hätten sich auch auf Hausdurchsuchungen in Privatwohnungen von Mitarbeitern erstreckt. Der Vorstand der C habe eine weitgehende Compliance-Prüfung des Sachverhalts beschlossen. Es solle eine tiefgehende Untersuchung der Vorgänge vorgenommen werden. Darüber hinaus sei eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Überprüfung der Vorgänge beauftragt worden. Schließlich sei ein Anwalt für Strafrecht damit beauftragt worden, die Rechte der C wahrzunehmen und zugleich eine umfassende Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft sicherzustellen. Hierüber wurden die Mitglieder des Ag in der Sitzung am 16.03.2018 informiert. Zwischenberichte erfolgten in den Sitzungen vom 19.09.2018 und 19.11.2019.
Mit Schreiben vom 10.02.2020 wandte sich der Ast gemeinsam mit dem stellvertretenden Fraktionssprecher der C VersichertenGemeinschaft unter Verwendung des offiziellen Briefbogens der Fraktion an die Staatsanwaltschaft Berlin und bat um Gewährung von Einsicht in die Ermittlungsakten des Verfahrens gegen Mitarbeiter der C wegen Manipulationsverdachts und führte zur Begründung aus:
"... Wir sind Mitglieder des Verwaltungsrats der C und als solche gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 1a SGB V verpflichtet, den Vorstand zu überwachen. Um sicherzustellen, dass uns in dieser Angelegenheit zutreffende Informationen seitens des Vorstands der C gegeben worden sind, benötigen wir Einsicht in die staatsanwaltlichen Ermittlungsakten, um unserer Aufsichtspflicht genügen zu können. Im Verwaltungsrat der C sind wir Fraktionssprecher und stellvertretender Fraktionssprecher der größten Fraktion im Verwaltungsrat mit 10 von 30 Mitgliedern. ..."
Nachdem der Ag Kenntnis hiervon erhalten hatte, hörte er den Ast nach entsprechender Erörterung im Haupt- und Grundsatzausschuss in der Sitzung vom 13.05.2020 mit Schreiben vom 14.05.2020 dazu an, dass beabsichtigt sei, in der Sitzung des Verwaltungsrats am 26.06.2020 einen Beschluss darüber zu fassen, dass der Ast von seinem Amt als Mitglied des Ag zu entheben und die sofortige Vollziehung des Beschlusses anzuordnen sei.
Hierzu führte der Ast mit Schreiben vom 04.06.2020 aus, er habe sich gegenüber der Staatsanwaltschaft keine Befugnisse des Ag angemaßt. Das Schreiben vom 10.02.2020 stelle keine Erklärung im Namen des Ag dar. Es sei nicht der Eindruck suggeriert worden, dass in dessen Namen gehandelt worden sei. Er habe es auch nicht unterlassen, den Ag hinsichtlich des Akteneinsichtsgesuchs aufzuklären. Die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung nach § 59 Abs 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) seien nicht erfüllt. Das Akteneinsichtsgesuch stelle keine Amtspflichtverletzung dar. § 197 Abs 1 Nr 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) regele die Aufsicht über den Vorstand als Amtspflicht des Verwaltungsrates. § 197 Abs 2 SGB V lege fest, dass hierfür sämtliche Geschäfts- und Verwaltungsunterlagen eingesehen und geprüft werden könnten. Dieses Einsichtsrecht sei so auszulegen, dass auch sonstige behördliche Vorgänge in Bezug auf die Arbeit des Vorstandes einsehbar und überprüfbar sein müssten, da die Aufsichtskomp...