Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift bei einem obdachlosen Kläger

 

Orientierungssatz

1. Die Klage muss nach § 92 Abs. 1 SGG den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Enthält die Klageschrift keine ladungsfähige Anschrift, so ist sie dann unzulässig, wenn die Angabe ohne Weiteres möglich ist und kein schützenswertes Interesse hinsichtlich der Geheimhaltung einer Adresse entgegensteht, vgl. BSG, Beschluss vom 18. November 2003 - B 1 KR 1/02 S.

2. Ist ein Kläger obdachlos und nächtigt er bei Bekannten in wechselnden Unterkünften, so ist die Angabe einer Wohnanschrift nicht sinnvoll möglich. Hat er aber einen Prozessbevollmächtigten mit der Prozessführung beauftragt und ist dieser insoweit zustellungsbevollmächtigt, so ist damit den Anforderungen des § 92 Abs. 1 SGG Genüge getan.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.11.2011 geändert. Der Klägerin wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ab dem 13.07.2011 bewilligt und Rechtsanwalt I, E, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage gegen einen Aufhebungsbescheid.

Die am 00.00.1962 geborene Klägerin bezog Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Mit Bescheid vom 21.07.2010 nahm der Rechtsvorgänger des Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagter) den Bewilligungsbescheid vom 23.02.2010 in der Fassung des Bescheides vom 02.06.2010 "für die Zeit ab dem 01.07.2010, hilfsweise ab 01.08.2010" vollständig zurück. Hiergegen legte die Klägerin am 03.08.2010 Widerspruch ein, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.2010 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Die anwaltlich vertretene Klägerin hat sich mit Schriftsatz vom 26.08.2010, eingegangen beim Sozialgericht Düsseldorf am 30.08.2010, gegen den Bescheid vom 21.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2010 gewandt. Als ihre Anschrift hat sie die D-straße 00 in E benannt.

Daneben hat sie beantragt,

ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I zu bewilligen.

Am 20.09.2010 hat das Sozialgericht Düsseldorf einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. In diesem Termin hat sich die Klägerin bereit erklärt, ihre Wohnung bis zum 31.12.2010 aufzugeben und sich eine neue, preiswertere Wohnung zu suchen. Im Rahmen eines am 08.02.2011 durchgeführten weiteren Erörterungstermins hat die Klägerin angegeben, derzeit obdachlos zu sein und wechselseitig bei verschiedenen Bekannten zu übernachten. Diese Personen wolle sie aber nicht benennen. Postalisch sei sie über ein Postfach zu erreichen.

Mit Schreiben vom 06.09.2011 hat das Sozialgericht Düsseldorf die Klägerin zur Angabe einer ladungsfähigen Anschrift und des derzeitigen konkreten Aufenthaltsorts aufgefordert und eine Frist bis zum 07.10.2011 gesetzt. Im Anschluss sei beabsichtigt, die Klage gemäß Gerichtsbescheid als unzulässig abzuweisen. Das Schreiben ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt worden, der dem Gericht mitteilte, die Rechtsauffassung werde nicht geteilt. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Klageerhebung den zutreffenden Wohnsitz angegeben. Es hätten mehrere mündliche Verhandlungen stattgefunden, an denen die Klägerin teilgenommen habe. Schließlich sei sie durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten. Damit unterscheide sich die der vom Gericht zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zugrundeliegende Konstellation erheblich von der vorliegenden.

Mit Beschluss vom 04.11.2011 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es führt im Wesentlichen aus, die Klage sei zwischenzeitlich unzulässig geworden. Dadurch, dass dem Gericht eine ladungsfähige Anschrift nicht vorliege sei das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) halte die Inanspruchnahme eines Gerichts bei gleichzeitiger Geheimhaltung des Aufenthaltsorts und der Anschrift durch einen Kläger für rechtsmissbräuchlich. Ein solches Verhalten verstoße gegen Treu und Glauben. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 07.11.2011 hat das Sozialgericht die Klage als unzulässig und überdies unbegründet abgewiesen.

Gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 09.11.2011 Beschwerde beim Sozialgericht eingelegt. Zur Begründung führt er aus, die Klägerin teile die Rechtsauffassung des Gerichts nicht, dass allgemein ein Rechtsschutzbedürfnis nicht bestehe, weil sie keine dauerhafte Wohnadresse angeben könne. Zustellungen könnten an die Arbeitsadresse der Klägerin erfolgen. Auch das Gericht habe gegen Postzustellungsurkunde dort bereits zugestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstreits wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

D...

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