Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung eines Arzneimittels in einer Arzneimittelvereinbarung nach § 84 SGB 5
Orientierungssatz
1. Bei einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz darüber, ob die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ein von einem Arzneimittelhersteller vertriebenes Arzneimittel auf einer im Internet zugänglichen Me-To-Liste führen und diese Liste den Vertragsärzten zugänglich machen darf, ist grundsätzlich auf die wirtschaftlichen Folgen der in Art. 12 und Art. 14 GG geschützten Rechtsgüter abzustellen.
2. Ein drohender Umsatzverlust des Herstellers von weniger als 1 % des Gesamtumsatzes rechtfertigt nicht die Annahme eines Anordnungsgrundes. Auch die Marktverdrängung stellt keinen wesentlichen drohenden Nachteil dar.
3. § 84 Abs. 1 SGB 5 dient der Erhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes und enthält eine ausreichende Rechtsgrundlage für die von der KV zur Umsetzung einer mit den Krankenkassen getroffenen Arzneimittelvereinbarung dienenden Maßnahme.
4. Die KV ist berechtigt, Ärzte vergleichend über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen zu informieren. Die Bewertung des therapeutischen Nutzens ist nicht durch § 35b SGB 5 ausgeschlossen.
5. Es ist zulässig, in einer Arzneimittelvereinbarung ein Me-Too-Präparat als Arzneimittel ohne relevanten höheren therapeutischen Nutzen, aber mit höheren Kosten zu charakterisieren.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31.05.2007 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. Der Streitwert wird auf 700.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig ist, ob die Antragsgegnerin das von der Antragstellerin vertriebene Arzneimittel Neupro® auf einer im Internet zugänglichen Me-Too-Liste führen und diese Liste den Vertragsärzten ihres Bezirks zugänglich machen darf.
Die Antragstellerin vertreibt seit dem Jahre 2006 das patentgeschützte Präparat Neupro®, welches den Wirkstoff Rotigotin enthält und ein non-ergoliner Dopaminagonist in der Applikationsform eines transdermalen Pflasters ist. Nachdem das Medikament im Jahre 2006 zunächst nur die Zulassung als Monotherapie für Patienten im frühen Stadium der Erkrankung hatte, ist die Zulassung zwischenzeitlich auch für die Kombinationstherapie mit Levodopa zur symptomatischen Behandlung bei Patienten mit fortgeschrittenem Morbus Parkinson erteilt worden.
Der Begriff Me-Too-Präparat (Synonyme: Analogpräparat bzw. Scheininnovation) wird seit ca. 1982 zur Bewertung von Arzneimitteln verwandt, die zwar einen neuen Wirkstoff enthalten, dieser jedoch dem Wirkstoff bereits zugelassener Medikamente sehr ähnlich ist.
Zur Bewertung des Innovationsgrades von Arzneimitteln ist das folgende, seit 1982 unveränderte Klassifikationsschema entwickelt worden:
A. Neuartige Wirkstoffe oder neuartige Wirkprinzipien mit therapeutischer Relevanz;
B. Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Qualitäten bereits bekannter Wirkprinzipien;
C. Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten;
D. Eingeschränkter therapeutischer Wert bzw. nicht ausreichend gesicherte Therapieprinzipien.
Am 11.10.2006 schloss die Antragsgegnerin mit den Landesverbänden der Krankenkassen eine "Vereinbarung über das Arznei- und Verbandmittelausgabenvolumen für das Kalenderjahr 2007" (Rheinisches Ärzteblatt 1/2007, 73 ff). Hiermit wurde das Ausgabenvolumen für Arznei- und Verbandmittel auf 2,787 Mrd. EUR festgelegt (§ 2). Mittels einer Zielvereinbarung (§ 4) soll sichergestellt werden, dass der durch den jeweiligen Vertragsarzt verursachte arztgruppenbezogene Versorgungsanteil
1. des Brutto-Generikaumsatzes am generikafähigen Markt erreicht oder überschritten wird und
2. des Bruttoumsatzes der Me-Too-Präparate ohne relevanten höheren therapeutischen Nutzen, aber mit höheren Kosten, am Gesamtmarkt eingehalten oder unterschritten wird.
Für die einzelne Arztgruppen bestimmt die Vereinbarung einen Zielwert von 69,6 1 % (Chirurgen) bis zu 87,9 % (HNO-Ärzte) bei den Generika (§ 4 Abs. 2 Ziffer 1) und von 1,0 % (Kinderärzte) bis zu 13,8 % (Nervenärzte) bei den Me-Too-Präparaten (§ 4 Abs. 2 Ziffer 2 ). Neben Bonuszahlungen bei Unterschreitung des vereinbarten Ausgabenvolumens (§ 7) regelt die Vereinbarung Maßnahmen für den Fall, dass das Richtgrößenvolumen und/oder der Zielvereinbarung (§ 8) nicht eingehalten werden, wie folgt:
(1) Die individuelle Verantwortlichkeit des einzelnen Vertragsarztes für eine Überschreitung des Ausgabenvolumens bzw. für eine Verringerung der Sonderzahlung nach § 7 Abs. 1 tritt ein, wenn - der einzelne Vertragsarzt sein für das Kalenderjahr 2007 maßgebliches Richtgrößenvolumen überschritten hat und - der einzelne Vertragsarzt mindestens einen der nach § 4 vereinbarten Zielwerte nicht erreicht hat. Eine Saldierung zwischen den einzelnen Zielwerten findet nicht statt.
(2) Im Falle des Absatzes 1 erhalten die nordrheinischen Landesverbände der Krankenkassen/Verbände der Ersatzkassen von den einzelnen Vertragsärzten jeweils ei...