Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss einer Verordnung von Cannabis-Blüten zur Behandlung einer Aufmerksamkeits-/Aktivitätsstörung (ADHS)

 

Orientierungssatz

1. Bei der Verordnung von Cannabis-Blüten nach § 31 Abs. 6 SGB 5 ist zunächst zu prüfen, ob ein eng begrenzter Ausnahmefall i. S. von § 31 Abs. 6 S. 1 SGB 5 vorliegt und bejahendenfalls, ob ein begründeter Ausnahmefall es dennoch rechtfertigt, die Leistung zu verweigern.

2. Grundvoraussetzung ist, dass der Versicherte an einer schwerwiegenden Erkrankung leidet. Die Aufmerksamkeits-/Aktivitätsstörung (ADHS) ist keine lebensbedrohliche Erkrankung.

3. Im Übrigen muss dem Antrag auf Genehmigung nach § 31 Abs. 6 S. 2 SGB 5 eine begründete Einschätzung beigefügt sein. Fehlt es daran, so muss die Krankenkasse den Antrag ablehnen.

4. Rechtlich wirksam kann die begründete Einschätzung nur im Verwaltungsverfahren vorgelegt werden. Es ist nicht möglich, dies im gerichtlichen Verfahren nachzuholen.

5. Es existieren keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine Wirksamkeit von Medizinal-Cannabis-Blüten zur Behandlung eines ADHS-Syndroms.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 07.03.2018 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten ist, die Kosten für die Versorgung des Antragstellers mit Cannabis der Sorte Bedica zu übernehmen.

Der 1979 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin versichert. Er leidet u.a. unter einer Aufmerksamkeits-/Aktivitätsstörung (ADHS) mit depressiver Begleitsymptomatik. Unter der Diagnose "medikamentös schwer einstellbares ADHS" verordnete der als Vertragsarzt zugelassene Facharzt für Innere Medizin Dr. F am 19.04.2017 auf Verordnungsvordruck "Cannabisblüten (Bedica) Menge 10 g (unbearbeitet)". Der Antragsteller löste die Verordnung nicht ein, legte sie vielmehr ohne Begleitschreiben und ohne weitere Erläuterungen der Antragsgegnerin am 19.04.2017 vor, die dies als Antrag nach § 31 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) verstand.

Mit Schreiben vom 20.04.2017 unterrichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller unter dem Betreff "Antrag auf Cannabis" davon, die Unterlagen an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) weitergeleitet zu haben; sie sei verpflichtet, über einen Antrag auf Kostenübernahme binnen fünf Wochen zu entscheiden. Mit Schreiben desselben Datums bat sie Dr. F, dem MDK weitere Unterlagen und Informationen zuzuleiten. Unter dem 24.04.2017 übersandte sie ihm das Formblatt "Arztanfrage zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V". Am 12.05.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, seinen behandelnden Arzt darum gebeten zu haben, weitere Informationen unmittelbar dem MDK zuzuleiten. Ob und inwieweit Dr. F den Vordruck ausgefüllt dem MDK übersandt hat, ist nicht aktenkundig.

Im Gutachten des MDK vom 23.05.2017 führte Dr. U aus, anhand der Medikation müsse angenommen werden, dass es sich um ein komplexeres psychiatrisches Krankheitsbild handele. Die Voraussetzungen für eine Verordnung mit Cannabisarzneimitteln auf der Grundlage von § 31 Abs. 6 SGB V seien nicht erfüllt. Sodann merkte der Gutachter unter Angabe einer Fundstelle an, dass bezogen auf ADHS im Erwachsenenalter keinerlei wissenschaftliche Evidenz für einen Nutzen von Cannabisblüten Bedrican existiere. Als andere Maßnahmen empfahl er "ggf. Exploration und Therapie durch Psychiater". Ausgehend hiervon lehnte die Antragsgegnerin den Antrag "auf Kostenübernahme" mit Bescheid vom 24.05.2017 ab.

Den Widerspruch vom 26.05.2017 begründete der Antragsteller wie folgt: Er befinde sich in regelmäßiger neurologischer Behandlung. Es seien verschiedene medikamentöse Therapieversuche unternommen worden. All das habe starke Nebenwirkungen gehabt und seinen Zustand nicht gebessert. Demgegenüber sei die Therapie mit Cannabisarzneien derart wirksam, dass er ein weitgehend normales Leben führen und regelmäßig und zuverlässig seinem Beruf nachgehen könne. Nach vielen fehlerhaften psychiatrischen Diagnosen sei endlich eine ADHS festgestellt worden. Dem Widerspruch fügte der Antragsteller eine seinen Vortrag bestätigende Stellungnahme von Dr. F vom 16.07.2017 bei, der u.a. ausführte, sämtliche der eingesetzten Medikationen (Mirtazapin, Quetiapin, Citalopram, Escitalopram und Medicinet adult) hätten zu keiner befriedigenden Symptomkontrolle geführt und seien teilweise sehr nebenwirkungsbehaftet gewesen. Von allen bisher versuchten Therapien sei die Symptomkontrolle unter regelmäßig moderatem Cannabiskonsum am effektivsten.

Die Antragsgegnerin holte neuerlich ein Gutachten des MDK vom 22.08.2017 ein. Der Gutachter (Dr. U) blieb trotz der Stellungnahme von Dr. F bei seiner bereits zuvor geäußerten Auffassung. Er führte aus: "Den Ausführungen der Rechtsanwältin und den Äußerungen von Dr. F (Internist, Notarzt, Intensivmediziner, Hypertensiologe und Arzt für Naturheilverfahren, Ernährungsmedizin und Prüfarzt f...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge