Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Leistungen des SGB 2 an einen Alt-Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. In der Rechtsprechung ist umstritten, ob die Regelung des § 7 Abs. 1 S, 2 Nr. 2 SGB 2, die einen Leistungsausschluss ohne entsprechende Öffnungsklausel insbesondere für sog. Alt-Unionsbürger normiert, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Diese Frage lässt sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend klären.

2. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 begegnet bei einem italienischen Staatsangehörigen als Alt-Unionsbürger unter Berücksichtigung des primären EU-Rechts erheblichen Bedenken. Danach ist es nicht mehr möglich, eine finanzielle Leistung, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates erleichtern soll, vom Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbotes des Art. 39 EG auszunehmen.

3. Ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung eine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt des arbeitsuchenden Alt-Unionsbürgers glaubhaft gemacht, so sind diesem bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen Leistungen des SGB 2 durch einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.04.2009 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Instanzen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, dem Antragsteller vorläufig Regelleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren.

Der 1967 geborene Antragsteller ist italienischer Staatsangehöriger. Er reiste 1981 mit seiner Mutter und seinem jüngerem Bruder in die Bundesrepublik Deutschland (BRD), wo sein Vater und sein älterer Bruder bereits beruflich tätig waren, ein. Er besuchte überwiegend in Italien acht Jahre die Schule, machte keine Lehre und übte sodann verschiedene ungelernte Tätigkeiten in Gewerbe und Gastronomie aus. Der Antragsteller war zudem seit 1982 strafrechtlich in Erscheinung getreten. Das Landgericht C verurteilte den Antragsteller 1992 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Mit Ausweisungsverfügung vom 29.03.1995 wurde der Antragsteller nach § 46 Nr. 2 i.V.m. § 45 Ausländergesetz (AuslG; vom 09.07.1990) für dauernd aus dem Gebiet der BRD ausgewiesen. Nachdem der Antragsteller im Besitz einer belgischen Aufenthaltsgenehmigung war, erfolgte im Juni 2003 die Abschiebung nach Belgien.

Nach eigenen Angaben hielt sich der Antragsteller in den folgenden Jahren in Belgien und Italien auf. Auf Antrag des Antragstellers befristete die Stadt C nach § 63 AuslG die Wirkung der Abschiebung nach § 8 Abs. 2 AuslG auf den 28.02.2006.

Der Antragsteller reiste im Februar 2007 wieder in die BRD ein. Er beantragte eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU) und gab als Grund seines Aufenthaltes die Suche nach einem Arbeitsplatz an. Die Bescheinigung wurde ihm am 16.04.2007 ausgestellt. Der Antragsteller meldete sich im März 2007 arbeitslos. Er wohnte zunächst bei seinen Eltern, dann in der Obdachlosenunterkunft und hat seinen Wohnsitz nach Auskunft der Ausländerbehörde zum 15.12.2009 wieder in der I.Straße xx in I1 polizeilich angemeldet. Seit seiner Einreise ist der drogenabhängige Antragsteller wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Er beantragte im Dezember 2008 Grundsicherung. Dabei gab er an, dass er in der städtischen Notunterkunft lebe. Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 08.12.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2009 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab, weil der Antragsteller offensichtlich zur Arbeitsaufnahme eingereist sei. Daher sei der Anspruch nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, auch unter Berücksichtigung der Regelungen des FreizügG/EU, ausgeschlossen.

Hiergegen hat der Antragsteller zum einen Klage beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben (S 6 AS 108/09) und zum anderen einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

Das SG hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 21.04.2009 verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 08.04.2009 für sechs Monate Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 351,- EUR zu gewähren.

Gegen den ihr am 28.04.2009 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 15.05.2009 Beschwerde eingelegt. Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei erfüllt. Für eine einschränkende Auslegung lediglich auf Fallgestaltungen der erstmaligen Einreise oder aber für einen Ausschluss der Anwendbarkeit für Zeiten nach Ablauf des dreimonatigen Aufenthalt gebe es weder nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers noch nach dem Gemeinschaftsrecht Raum. Zudem sei die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II europarechtskonform. Ein Verstoß gegen Art. 12 EG liege nicht vor. Aus der Richtlinie (RL) 2004/38 EG werde gemäß § 24 Abs....

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?