Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss einer Versorgung des Versicherten mit Medizinal-Cannabis-Blüten zur Behandlung eines Schmerzsyndroms
Orientierungssatz
1. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB 5 kann der Versicherte u. a. die Behandlung seiner Schmerzen verlangen. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung auch die Versorgung des Versicherten mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln.
2. Eine Behandlung mit Medizinal-Cannabis-Blüten wird davon nicht erfasst. Dies gilt auch dann, wenn dieses Erzeugnis als Fertigarzneimittel i. S. des § 4 Abs. 1 S. 1 AMG in den Verkehr gebracht wird. Es fehlt sowohl an einer EU-weiten als auch auf die BRD bezogenen Arzneimittelzulassung.
3. Bisher existiert keine nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB 5 befürwortende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses.
4. Derzeit ist ein medizinischer Nutzen von Cannabinoiden in der Schmerzindikation nicht zu begründen.
5. Ein Versorgungsanspruch des Versicherten ergibt sich nicht aus § 2 Abs. 1 S. 3 SGB 5. Ein Schmerzsyndrom mit den davon ausgehenden Beschwerden stellt keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung dar.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, Abs. 1a S. 1, § 27 Abs. 1 S. 1, § 91 Abs. 2 S. 1, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, § 135 Abs. 1 S. 1; AMG § 4 Abs. 1 S. 1, § 21 Abs. 1, § 73 Abs. 3; BtMG § 3 Abs. 2; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 01.06.2016 abgeändert. Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten.
Der 1970 geborene Antragsteller erlitt 2005 bei einem Unfall eine Hüftgelenksausrenkung rechts mit begleitendem Hüftkopfbruch und Bruch des hinteren Hüftpfannenpfeilers. Als Unfallfolgen wurden u.a. neben einer motorischen und sensiblen Peronaeuslähmung rechts chronisch-neuropathische Schmerzen rechter Unterschenkel und Fuß sowie belastungsabhängige Schmerzen beschrieben (Gutachten des Dr. I, St. B Krankenhaus E, vom 02.02.2010). Zur Behandlung der Schmerzen wurden u.a. Pregabalin, Gabapentin, Amitriptylin, Oxycodon, Oxygesic, Tramadol und Novaminsulfon eingesetzt. Im November 2014 unternahm der behandelnde Arzt Dr. H einen Therapieversuch mit Sativex. Nach Angeben des Antragstellers traten im Gegensatz zur zuvor erfolgten Anwendung von Cannabisblüten bei dessen Einnahme Kopfschmerzen auf (Schreiben des Dr. H vom 04.11.2015).
Den Antrag des Antragstellers, die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten zu übernehmen, lehnte die Antragsgegnerin nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein mit Bescheid vom 11.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2016 ab. Es bestehe kein Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handele sich um eine neue Behandlungsmethode, für die es derzeit an der erforderlichen positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) fehle. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung bzw. eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechenden Leistung nicht zur Verfügung stehe, die im Einzelfall einen Anspruch auf Kostenübernahme begründen könne, liege nicht vor. Zudem könne auch mit anderen Medikamenten eine weitere Schmerztherapie vorgenommen werden. Die Kosten für Sativex würden bis zum 30.11.2016 weiter übernommen
Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller Klage erhoben - S 8 KR 339/16 Sozialgericht (SG) Düsseldorf -. Zudem hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Über den 30.06.2016 hinaus sei er nicht in der Lage, die Therapie mit Medizinal-Cannabisblüten weiter zu finanzieren. Nur bei Einnahme der Cannabisblüten sei es ihm möglich, einen geregelten Alltag zu führen und seiner Berufstätigkeit nachzugehen. Die in der Vergangenheit durchgeführte Behandlung mit Schmerzmedikamenten sei nicht hinnehmbar gewesen, da sie u.a. zu Verlust der Libido und Verdauungsproblemen geführt hätten. Sativex habe er in die Höchstdosierung übersteigender Menge einnehmen müssen; es hätten sich starke Nebenwirkungen in Form von unerträglichen Kopfschmerzen eingestellt. Er leide zwar an keiner lebensbedrohlichen oder tödlichen Krankheit, jedoch sei seine Lage derart existenzbedrohend, dass ein Vergleich nicht ganz abwegig erscheine.
Der Antragsteller hat schriftsätzlich beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller das Arzneimittel Medizinal-Cannabisblüten zu finanzieren, soweit die behandelnden Ärzte des Antragstellers diese Behandlung verordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
den Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz zurückzuweisen.
Bei der Versorgung mit Cannabisblüten handele es sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherun...