Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Behandlung. nicht zugelassener Psychotherapeut. Notfallbehandlung
Leitsatz (amtlich)
Eine notfallmäßige Inanspruchnahme eines niedergelassenen Psychotherapeuten kommt nur in Betracht, wenn der Versicherte auf eine Akutbehandlung angewiesen und ein zugelassener Leistungserbringer zumutbar nicht erreicht werden kann. Ein Versicherter kann nicht die Behandlung nur durch einen einzigen, allein ihm genehmen Psychotherapeuten verlangen.
Orientierungssatz
1. Ein erneuter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, wenn eine Identität des Streitgegenstandes nicht vorliegt. Dieser bestimmt sich nach dem gestellten Antrag und den zugrunde liegenden vorgetragenen Tatsachen. Wird zur Notwendigkeit psychotherapeutischer Behandlung die Verschlimmerung der verursachenden Erkrankung geltend gemacht, ist der Antrag zulässig, weil keine Identität des Streitgegenstandes vorliegt.
2. Eine Therapie, die umfangreich und zeitaufwändig ist, stellt keine Notfallbehandlung iS von § 76 Abs 1 S 2 SGB 5 dar.
3. An einem erforderlichen Anordnungsgrund fehlt es, wenn einstweiliger Rechtsschutz zur Abwendung wesentlicher Nachteile nicht notwendig ist. Werden andere Behandlungsangebote abgelehnt, wird die Gefahr des Eintritts der geltend gemachten Nachteile selbst herbeigeführt.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 30. Juni 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerin (AGin) vorläufig die Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung der Antragstellerin (AStin) bei dem nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Psychotherapeuten Prof. Dr. F, Institut für Psychologische Unfallnachsorge (IPU) in L, zu übernehmen hat.
Die AStin wurde am 00.00.1971 geboren. Von ihrem Wahlrecht nach § 13 Abs. 2 SGB V hat sie keinen Gebrauch gemacht. Im November 2000 wurde sie als Angestellte der W-bank B Opfer eines Banküberfalls. In der Folgezeit litt sie unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom, welches im Zeitraum vom 05.01.2002 bis zum 15.08.2003 durch eine Verhaltenstherapie bei Prof. Dr. F behandelt wurde. Die Kosten für die Behandlung trug die zuständige Berufsgenossenschaft.
Aufgrund weitergehender psychischer Probleme blieb die AStin bei Prof. Dr. F über den 15.08.2003 hinaus in Behandlung. Hierfür begehrt sie in dem Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund (Az.: S 44 KR 272/04) Kostenerstattung bzw. Kostenübernahme (KÜ). Gleichzeitig hatte sie einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Az.: S 44 KR 204/04 ER, SG Dortmund / L 16 B 174/04 KR ER, Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen -LSG NRW-) gestellt. Die Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des SG hatte der erkennende Senat jedoch mit Beschluss vom 13.06.2005 mangels Anordnungsgrundes zurückgewiesen. Weder lägen die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 noch des § 76 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vor. Insbesondere sei eine Behandlung durch Prof. X F nicht zwingend erforderlich. Dies machten die seit 1996 mit Unterbrechungen bei verschiedenen Therapeuten durchgeführten, zumindest teilweise erfolgreichen Behandlungen deutlich. Zudem verfüge Prof. Dr. F nur auf dem Gebiet der Unfalltraumatologie über Spezialkenntnisse. Schließlich stehe der AStin bei akutem Bedarf auch die Möglichkeit einer sofortigen stationären Behandlung offen.
Nachdem eine Rückkehr in den Beruf als Bankkauffrau gescheitert war, nahm die AStin ab dem 01.02.2006 an einer Umschulungsmaßnahme zur Gebärdendolmetscherin bei dem Landesinstitut für Gebärdensprache NRW teil. Während der Umschulung verstärkten sich ihre psychischen Probleme derart, dass die Ausbildungsmaßnahme schließlich abgebrochen werden musste. Daher ließ die AStin im März 2006 erneut eine psychologische Untersuchung durch das IPU in L vornehmen. Aufgrund der dort diagnostizierten Erkrankungen (Persönlichkeitsstörung mit histrionischen, ängstlichen und dependenten Anteilen; Agoraphobie mit Panikstörung; bipolare affektive Störung, gegenwärtig mittelgradige depressive Episode) wurde der AStin eine weitere psychotherapeutische Behandlung, die kognitiv/verhaltenstherapeutisch orientiert sein sollte, empfohlen.
Auf einen entsprechenden Antrag auf KÜ stellte die AGin der AStin zunächst eine Liste mit zugelassenen Therapeuten in ihrem näheren Wohnumkreis zur Verfügung. Am 24.04.2006 verordnete ihr der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Neurologe und Psychiater sowie Psychotherapeut X1 aus B eine stationäre Krankenhausbehandlung. Er begründete die entsprechende Verordnungsfähigkeit und -notwendigkeit mit der bei der AStin gestellten Diagnose "Angst und depressive Störung gemischt, Verdacht auf Borderlinestörung". In einem an die AStin gerichteten Schreiben vom 25.04.2006 wies sie der Arzt darauf hin, dass sich in einem ausführlichen Gespräch zwischen ...