Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. keine Kostenübernahme für Gentherapeutikum Zolgensma®. fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland und der EU
Orientierungssatz
Zum Streit im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um die Übernahme der Kosten einer Behandlung einer sieben Monate alten, an einer autosomalrezessiven proximalen spinalen Muskelatrophie (SMA) Typ 1 leidenden Antragstellerin mit dem in Deutschland und in der EU nicht zugelassenen Medikament Zolgensma®.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.12.2019 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um die Übernahme der Kosten einer Behandlung der sieben Monate alten Antragstellerin mit dem in Deutschland und in der EU nicht zugelassenen Medikament Zolgensma .
Hierbei handelt es sich um ein Gentherapeutikum, das bisher in den USA seit Mai 2019 für die Anwendung innerhalb der ersten zwei Lebensjahre zugelassen ist. Das Zulassungsverfahren in Europa ist noch nicht abgeschlossen. Die Verabreichung erfolgt in Form einer einzigen Spritze, die rund 2 Millionen Euro kostet.
Die 2019 geborene und bei der Antragsgegnerin über die Familienversicherung versicherte Antragstellerin leidet an einer autosomalrezessiven proximalen spinalen Muskelatrophie (SMA) Typ 1. Diese schwere infantile Form der Erkrankung beginnt in der Regel vor dem 6. Lebensmonat (gewöhnlich vor dem 3.), basiert auf einem Gendefekt und ist gekennzeichnet durch schwere und progrediente Muskelschwäche und -hypotonie als Folge einer Degeneration bzw. des Verlustes der unteren Motoneurone im Rückenmark und im Kern des Hirnstammes; die Prognose ist in der Regel ungünstig, die meisten Patienten versterben innerhalb der ersten beiden Lebensjahre infolge Ateminsuffizienz.
Am 28.11.2019 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten einer Behandlung mit Zolgensma (Onasemnogene Abeparvovec-xioi) . Aktuell erfolge eine Behandlung der gesicherten Diagnose einer akuten infantilen SMA mit dem Medikament Spinraza (Wirkstoff: Nusinersen) . Dies wirkt dabei wie folgt: Patienten mit SMA fehlet ein Eiweiß, das als "Survival Motor Neuron" (SMN-)Protein bezeichnet wird und für das Überleben und die normale Funktion der Motoneuronen (Nervenzellen des Rückenmarkes, die Muskelzellen steuern) von zentraler Bedeutung ist. Das SMN-Protein besteht aus zwei Genen SMN1 und SMN2. Patienten mit SMA fehlt das SMN1-Gen, während das SMN2-Gen vorhanden ist, wodurch in den meisten Fällen ein kurzes SMN-Protein entsteht, das nicht so gut funktioniert wie ein Protein in voller Länge. Spinraza ist nun ein synthetisches -Oligonnukleotid (eine Art von genetischem Material), das das SMN2-Gen zur Produktion von Protein in voller Länge und entsprechender voller Funktion befähigt, das das fehlende Protein ersetzt und so die Symptome der Erkrankung lindert (vgl. hierzu die Zusammenfassung auf der Homepage der European Medicines Agency zu Spinraza : EMA/736370/2017 und EMEA/H/C/004312). Es handelt sich um ein europaweit für seltene Leiden ("Orphan-Medikament") zugelassenes Medikament, das mittels Rückenmarksspritze appliziert wird und seinerseits Therapiekosten pro Jahr in Höhe von ca. ½ Millionen Euro verursacht (vgl. "Mehr Erfolg mit Nusinersen durch Neugeborenen-Screening auf SMA", unter www.daz.online.de).
Die Antragstellerin begründete den Antrag damit, dass sich das Leiden mit dem Medikament allenfalls lindern und damit der Tod nur um einige Monate hinauszögern ließe. Die einzige realistische Hoffnung auf Rettung biete eine Therapie mit dem Präparat Zolgensma des Herstellers Novartis. Wegen der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung könne man ihr das Abwarten der Zulassung auf dem Europäischen bzw. Deutschen Markt nicht zumuten; es sei Eile geboten, auf den sog. "Nikolausbeschluss" des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (BVerfG 1 BvR 347/98) werde verwiesen. Die Eltern seien zudem nicht in der Lage, die immensen Kosten dieses Medikamentes aufzubringen.
Die Antragsgegnerin erwiderte (mit Schreiben vom 24.10.2019), dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbracht werden dürften. Zur Prüfung, ob im Rahmen einer Einzelfallentscheidung eine Kostenübernahme in Betracht komme, werde um Beantwortung des beigefügten Fragebogens zur Arzneimittelversorgung sowie um die ärztliche Verordnung des Import-Arzneimittels (bis zum 05.11.2019) gebeten, damit der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeschaltet werden könne; eine Entscheidung werde spätestens bis zum 10.12.2019 ergehen.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin übersandte (per Email vom selben Tage) ein molekulargenetisches Gutachten der behandelnden ...