Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung
Orientierungssatz
1. Voll erwerbsgemindert i.S.v. § 43 Abs. 2 S. 2 SGB 6 ist ein Versicherter nicht, wenn er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
2. Bei einem solchen Leistungsvermögen bedarf es der Benennung einer konkret in Betracht kommenden Tätigkeit durch den Rentenversicherungsträger bzw. das Sozialgericht nur dann, wenn bei dem Versicherten eine schwere spezifische Behinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt ( BSG Urteil vom 19.08.1997, 13 RJ 55/96 ).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1961 geborene Klägerin hat nach eigenen Angaben keinen Beruf erlernt und war versicherungspflichtig in verschiedenen Tätigkeitsbereichen beschäftigt, u.a. als Lageristin, Büglerin und Fahrerin (langjährig im Zulassungsdienst für Autos), zuletzt bis September 2016. Nach zwischenzeitlichem Bezug von Arbeitslosengeld II arbeitet die Klägerin seit September 2017 versicherungspflichtig als Versandmitarbeiterin bei der Firma B in X/Kreis V in Vollzeit, dabei wöchentlich wechselnd in Frühschicht von 6.30 Uhr bis 15.00 Uhr oder Spätschicht von 15.00 Uhr bis 22.30 Uhr.
Im Anschluss an eine im August 2015 erfolgte Implantation einer Knie-Endoprothese links führte die Klägerin im September/Oktober 2015 eine medizinische Rehabilitationsbehandlung durch, aus der sie unter Berücksichtigung der funktionellen Auswirkungen der bei ihr diagnostizierten Erkrankungen des orthopädischen und internistisch-kardiologischen Fachgebiets mit einem Leistungsvermögen für mindestens sechsstündige körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten entlassen wurde.
Im Dezember 2016 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten und gab an, sie halte sich nach vier Bandscheibenoperationen (zuletzt Februar 2015) und dem Einsatz einer Kniegelenksprothese (August 2015) sowie wegen Bluthochdrucks und Asthmas für erwerbsgemindert.
Die Beklagte zog den Entlassungsbericht der 2015 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme bei und holte einen Befundbericht des behandelnden Allgemeinmediziners und Hausarztes Dr. N vom 19.01.2017 ein. Dieser gab keine Leistungsbeurteilung ab und sandte weitere Berichte mit, u.a. den Bericht des St. K-Stifts von April 2016 über eine Vorstellung der Klägerin wegen fortbestehender Schmerzen nach Knie-Endoprothese, Berichte des Kardiologen Dr. A von Juli und November 2016, in denen dieser über einen stabilen kardialen Befund berichtet, einen Bericht des Lungenfacharztes Dr. M von Oktober 2016, in dem dieser über Asthma bei Nikotinabusus berichtet, sowie einen Bericht der Kardiologie der Uniklinik N1 von Dezember 2016, in dem die Fortführung der konservativen medikamentösen Therapie empfohlen wird und der damit abschließt, dass die Klägerin bei subjektivem Wohlbefinden entlassen wurde.
Nach Auswertung aller Berichte durch ihren ärztlichen Beratungsdienst lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 01.02.2017 ab, weil diese nicht erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei; sie könne noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Mit ihrem Widerspruch verwies die Klägerin erneut auf die erfolgten Operationen an der Wirbelsäule und am Knie und teilte mit, es stünden eine Hüftoperation und eine Knieoperation rechts an; sie übersandte außerdem einen Operationsbericht der M1-Kliniken N1 von Februar 2017 über eine erneute Operation an der Wirbelsäule, die jedoch wegen kardiopulmonaler Instabilität während der Operation abgebrochen werden musste, sowie einen Bericht der Klinik für Neurologie des Herz-K1-Krankenhauses N1 über einen stationären Aufenthalt vom 13. bis 20.04.2017 wegen eines Verdachts auf wiederkehrende transitorisch-ischämische Attacken im Mediastromgebiet links und wegen eines analgetika-induzierten Kopfschmerzes bei chronischem Schmerzsyndrom.
Die Beklagte holte Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. F vom 04.04.2017, der Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. T vom 07.07.2017 und der Fachärztin für Innere Medizin (Zusatz Sozialmedizin) Dr. W vom 26.05.2017 ein. Dres. F und W gelangten aufgrund ambulanter Begutachtungen der Klägerin im April bzw. Mai 2017 unter Berücksichtigung der funktionellen Auswirkungen der auf ihren Fachgebieten diagnostizierten Erkrankungen zu der sozialmedizinischen Feststellung, dass die Klägerin regelmäßig leichte (Dr. W) und gelegentliche mittelschwere Tätigkeiten (Dr. F) in wechselnder Körperhaltung sechs Stunden ...