Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahren zum Abschluss von Rabattvereinbarungen im Rahmen einer Arzneimittelausschreibung
Orientierungssatz
1. Das Verfahren der Krankenkasse zum Abschluss einer Rabattvereinbarung gemäß § 130 a Abs. 8 SGB 5 unterliegt dem Transparenzgebot. Neben der Verpflichtung, die Ausschreibung öffentlich bekannt zu machen und die wesentlichen Entscheidungen des Vergabeverfahrens zu dokumentieren, begründet es auch die Pflicht der Vergabestelle, sich an alle Bedingungen, die sie selbst zuvor in den Verdingungsunterlagen aufgestellt hat, zu halten.
2. Die Krankenkasse ist infolgedessen verpflichtet, von den in der Ausschreibung getroffenen grundsätzlichen Entscheidungen nicht an anderer Stelle in den Verdingungsunterlagen abzuweichen, jedenfalls nicht ohne ausdrücklichen Hinweis und dokumentierte Begründung.
3. Dies wiederum hat zur Folge, dass die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen eine Substitution von Arzneimitteln nach § 129 Abs. 1 SGB 5 erfolgen darf, grundsätzlich zu beachten sind. Sofern die Kasse als Auftraggeber in diesem Rahmen davon abweichen will, hat sie ausdrücklich darauf hinzuweisen und die Abweichung zu begründen. Der Begriff einer therapeutischen Vergleichbarkeit besitzt für die Substitution von Arzneimitteln nach § 129 Abs. 1 SGB 5 keinerlei Bedeutung.
Tenor
Der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 10.11.2009 wird aufgehoben. Den Antragsgegnerinnen wird untersagt, in dem Vergabeverfahren "Arzneimittelrabattverträge Ausschreibung 2010/2011" den Zuschlag hinsichtlich des Wirkstoffs Betamethason auf der Grundlage der in der Ausschreibung festgelegten Bedingungen zu erteilen. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen tragen die Antragsgegnerinnen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin tragen die Antragsgegnerinnen. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer sowie durch die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren wird für notwendig erklärt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (AS) - ein pharmazeutisches Unternehmen, das sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von (generischen) dermatologischen und allergologischen Arzneimitteln befasst - wendet sich gegen eine nach ihrer Auffassung rechtswidrige Arzneimittelrabattausschreibung gemäß § 130a Abs. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hinsichtlich des Wirkstoffs Betamethason.
Die Antragsgegnerinnen (AG) führen ein europaweites offenes Verfahren zum Abschluss von Rabattvereinbarungen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V für die Jahre 2010/2011 (Bekanntmachung vom 22. August 2009, ABL EG 2009/S. 161-234006, berichtigt durch Bekanntmachung vom 04. September 2009, ABL EG 2009/S. 170 bis 244541) für insgesamt 87 Wirkstoffe/Wirkstoffkombinationen durch. Die Rabattverträge sollen für einen Zeitraum von 24 Monaten (zuzüglich einer einmaligen Verlängerungsoption von maximal drei Monaten, § 9 Abs. 1 Rabattvertrag - RV -) gelten.
Jeder der ausgeschriebenen Wirkstoffe bildet ein eigenes Fachlos, das in fünf Teillose - in Form von Gebietslosen - unterteilt wird. Das Fachlos Nr. 9 betrifft den Wirkstoff Betamethason, der der Wirkstoffgruppe der Glucokortikoide angehört und in topischen (z.B. als Creme, Emulsion, Lösung, Salbe), aber auch parenteralen, peroralen und rektalen Darreichungsformen hergestellt und vertrieben wird.
Nach der Bekanntmachung und den Verdingungsunterlagen haben die Bieter hinsichtlich jedes angebotenen Wirkstoffs und jedes Gebietsloses Rabattangebote auf alle Arzneimittel bzw. Pharmazentralnummern (PZN) abzugeben, die sie nach der "Lauer-Taxe" (Stand: 15. August 2009) mit dem betreffenden Wirkstoff im Sortiment haben. Die Erteilung des Zuschlags je Wirkstoff und je Gebietslos erfolgt auf jeweils einen Bieter; der Zuschlag erstreckt sich auf alle zu dem jeweiligen Wirkstoff gehörenden PZN des Zuschlagsempfängers.
Die Angebotswertung erfolgt für jedes Fach- und Gebietslos gesondert. Die Wirtschaftlichkeit des angebotenen Rabatt-ApU s (Rabatt-Apothekenverkaufspreis) beurteilt sich nach der Höhe der für die AG pro Gebiets- und Fachlos möglichen Einsparungen auf der Grundlage von Wirtschaftlichkeitsmaßzahlen, die an Hand von Preisvergleichsgruppen, von Verordnungszahlen aus der Vergangenheit (01.04.2008 bis 31.03.2009) und Vergleichsgrößen ("bereinigte Rabatt-ApU s" und "bereinigte durchschnittliche ApU s der Preisvergleichsgruppe", jeweils pro Milligramm Wirkstoff) ermittelt werden. Das Angebot mit der höchsten sog. Gesamtwirtschaftlichkeitsmaßzahl (GWMZ) erhält den Zuschlag.
Zur Bildung der Preisvergleichsgruppen führen die Verdingungsunterlagen aus: "Nach Auswahl angebotsgegenständlicher Wirkstoffe durch den Bieter wird jedem Arzneimittel (jeder PZN) zunächst eine Preisvergleichsgruppe zugeordnet (Spalte Q des Produkt- und Rabattblatts). Die Preisvergleichsgruppen...