Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des ausreisewilligen bedürftigen Ausländers auf befristete Leistungen der Sozialhilfe aufgrund des Vorliegens einer besonderen Härte
Orientierungssatz
1. Hilfebedürftige Ausländer, die in Deutschland kein materielles Aufenthaltsrecht besitzen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, unterliegen grundsätzlich dem sozialhilferechtlichen Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB 12. Sie können nur bis zur Ausreise befristete Übergangsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 S. 3 SGB 12 beanspruchen.
2. Liegen besondere Umstände vor, die i. S. von § 23 Abs. 3 S. 6 SGB 12 zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage Leistungen erfordern, so besteht ausnahmsweise ein entsprechender Leistungsanspruch nach dieser Vorschrift.
3. Hierzu muss ein bestehender Ausreisewille des Ausländers nicht feststellbar sein. Eine zeitlich befristete Bedarfslage ist dann anzunehmen, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der bedarfsbegründende Zustand kein Dauerzustand, sondern voraussichtlich vorübergehend ist.
4. Der Leistungsumfang richtet sich nach § 23 Abs. 1 SGB 12.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.01.2018 geändert. Die Beigeladene wird verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen in Höhe des Regelbedarfs nach Regelbedarfsstufe 1 unter Anrechnung eines monatlichen Einkommens von 100 EUR vom 01.03.2018 bis zum 31.08.2018 zu zahlen.
Die Beigeladene hat die Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der am 00.00.1992 geborene Antragsteller ist litauischer Staatsangehöriger. Nach eigenen Angaben lebt er seit Anfang 2013 in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist wohnungslos, schläft in Notschlafstellen oder im Freien. Bei der Sozialberatung von "fifty-fifty" hat der Antragsteller eine Postadresse eingerichtet. Eine Arbeitstätigkeit hat der Antragsteller in Deutschland noch nicht ausgeübt. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt durch Flaschensammeln und den Verkauf der Obdachlosenzeitung "fifty-fifty". Nach eigenen Angaben erzielt er aus dem Verkauf der Straßenzeitung etwa 100 EUR monatlich. Über anderweitiges Einkommen oder Vermögen verfügt der Antragsteller nicht. Der Antragsteller ist heroinabhängig und befindet sich seit März 2017 in einem Substitutionsprogramm bei Dr. T, E. Zudem leidet der Antragsteller unter einer Hepatitis C-Infektion. Aufgrund einer Begutachtung vom 12.05.2017 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. U stellte die DRV Rheinland am 27.06.2017 fest, dass der Antragsteller vom 22.09.2016 bis voraussichtlich Mai 2019 voll erwerbsgemindert ist. Die Eltern des Antragstellers in Litauen sind verstorben, nach eigenen Angaben verfügt der Antragsteller über keine engeren familiären Kontakte in Litauen mehr.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gesetzlich krankenversichert. Mit Schreiben vom 24.01.2018 teilte die AOK Rheinland/Hamburg dem Antragsteller mit, dass ein Beitragsrückstand iHv 3696,70 EUR besteht. Das Schreiben enthält den Hinweis, "dass es zum Ruhen von Leistungsansprüchen kommen kann, sofern Beitragsanteile für zwei Monate zur Krankenversicherung am Fälligkeitstag nicht entrichtet werden".
Mit Bescheid vom 13.04.2016 und Widerspruchsbescheid vom 29.05.2017 lehnte die Beigeladene Leistungen nach dem SGB XII ab. Bis Februar 2017 erhielt der Antragsteller aufgrund eines Beschlusses des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.08.2016 (L 9 SO 341/16 B ER) im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen nach dem SGB XII. Mit Beschluss vom 12.05.2017 verpflichtete das SG Düsseldorf die Beigeladene, dem Antragsteller vom 12.05.2017 bis zum 11.06.2017 Überbrückungsleistungen zu erbringen. Im Übrigen lehnte es den Antrag ab. Mit Beschluss vom 02.08.2017 wies das LSG Nordrhein-Westfalen (L 12 SO 253/17) die Beschwerde des Antragstellers zurück. Zwar habe die DRV "aufgrund der aktuellen ärztlichen Untersuchung" festgestellt, dass der Antragsteller nunmehr bis Mai 2019 voll erwerbsgemindert sei, hieraus lasse sich aber nicht entnehmen, dass der Antragsteller nicht reisefähig sei. Daher liege kein Härtefall vor, der es ermöglichen würde, Überbrückungsleistungen über die vom Sozialgericht zugesprochene Monatsleistung hinaus zuzubilligen.
Am 19.09.2017 beantragte der Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei dem Antragsgegner. Mit Bescheid vom 19.09.2017 und Widerspruchsbescheid vom 07.11.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag gestützt auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab.
Der Antragsteller hat sowohl gegen den Ablehnungsbescheid der Beigeladenen als auch gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners fristgerecht Klage erhoben.
Am 06.11.2017 hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Leistungszahlung zu verpflichten. Das Sozialgericht hat die Stadt E als Sozialhilf...