Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen zum Lebensunterhalt für einen dem Europäischen Fürsorgeabkommen unterfallenden Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Die Vereinbarkeit der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 mit Gemeinschaftsrecht der EG ist in Rechtsprechung und Kommentierung umstritten. Ebenso umstritten ist, ob das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 bei einem griechischen Staatsangehörigen ausschließt, solange seitens der Bundesrepublik kein Vorbehalt nach Art. 16 b EFA erklärt worden ist.
2. Wegen der Komplexität der Rechtslage ist eine abschließende Klärung des Anspruchs auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen Unionsbürger im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich. In einem solchen Fall ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens ist eine verfassungsrechtliche Pflicht, die sich auf alle Personen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, im Geltungsbereich des GG erstreckt.
3. Greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 ein und ist der Antragsteller zu Leistungen des SGB 2 Staatsangehöriger eines Vertragsstaates des EFA, so gilt für diesen die Inländergleichbehandlungsgewährung des EFA. Diese geht als lex specialis der Bestimmung des § 23 SGB 12 vor.
4. Bei den Leistungen nach dem SGB 2 und dem SGB 12 handelt es sich um sich gegenseitig ausschließende Leistungen. Sobald ein erwerbsfähiger Angehöriger eines EFA-Vertragsstaates, der gleichzeitig Unionsbürger ist, den Status eines Arbeitnehmers i. S. des Gemeinschaftsrechts der EG erlangt hat, entfällt der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 und der Antragsteller unterfällt dem Geltungsbereich des SGB 2. Dabei ist auch derjenige Arbeitnehmer i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes Einkommen verfügt.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 03.05.2012 geändert. Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, den Antragstellern ab dem 10.04.2012 bis zum 31.07.2012 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von insgesamt 674,00 EUR mtl. zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die am 00.00.1979 in C geborene Antragstellerin zu 2) ist griechische Staatsangehörige. In der Zeit vom 01.01.2005 bis 31.10.2008 bezog sie neben der Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Ausländerbehörde der Beigeladenen erteilte der Antragstellerin zu 2) am 31.05.2006 eine unbefristete Bescheinigung gem. § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Zum 01.11.2008 zog sie nach Griechenland um. Am 29.07.2011 heiratete die Antragstellerin zu 2) den am 27.05.1983 geborenen Antragsteller zu 1), der griechischer Staatsangehöriger ist.
Am 16.09.2011 reisten die Antragsteller in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie nahmen ihren Aufenthalt in C, wo die Mutter und eine Cousine der Antragstellerin zu 2) wohnen. Als Grund der Einreise gab die Antragstellerin zu 2) gegenüber der Stadt C die Suche nach einem Arbeitsplatz an. Der Antragstellerin zu 1) erklärte, dass er zur Arbeitssuche und wegen eines Familiennachzugs eingereist sei. Dem Antragsteller zu 1) erteilte die Ausländerbehörde der Beigeladenen am 22.09.2011 eine Bescheinigung gem. § 5 FreizügG/EU.
In der Zeit vom 20.09.2011 bis 31.03.2012 bezogen die Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Seit dem 14.11.2011 nahm der Antragsteller zu 1), der über eine Ausbildung als Buchhalter verfügt, an einem Integrationskurs zwecks Erwerbs deutscher Sprachkenntnisse teil.
Im März 2012 beantragte die Antragstellerin zu 2) die Weitergewährung der Leistungen für die Zeit ab dem 01.04.2012. Durch Bescheid vom 27.03.2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers zu 1) unter Berufung auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greife ein, da die Bundesrepublik Deutschland am 19.12.2011 für die Leistungen nach dem SGB II einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen erklärt habe. Mit weiterem Bescheid vom 27.03.2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin zu 2) unter Berufung auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab. Gegen die Leistungsablehnung legten die Antragsteller Widerspruch ein.
Am 03.04.2011 haben sich beide Antragsteller bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet. Am 16.04.2011 schloss der Antragsteller zu 1) mit der Bundesagentur für Arbeit eine Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB III mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme als Bürohilfskraft ab.
Durch Bescheid vom 15.05.2012 lehnte die Beigeladene den Antrag der Antragsteller auf Gewähru...