Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Leistungsberechtigter. Unionsbürger. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt und bei Krankheit. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht. Überbrückungsleistung. Erbringung anderer Leistungen für einen längeren Zeitraum bei Vorliegen einer besonderen Härte. Unmöglichkeit bzw Unzumutbarkeit einer Rückkehr ins Heimatland
Orientierungssatz
1. Der Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 AsylbLG ist teleologisch dahin zu reduzieren, das EU-Ausländer nicht von der Norm erfasst sind.
2. Scheiden zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten aus, so liegt, solange das Existenzminimum nicht anderweitig abgedeckt ist, eine besondere Härte im Sinne des § 23 Abs 3 S 6 SGB 12 vor, welche Leistungen nach § 23 Abs 1 SGB 12 für einen längeren Zeitraum erfordert.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 21.02.2019 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 05.02.2019 bis zum 30.06.2019 Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII in Höhe der Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII einschließlich Hilfe bei Krankheit nach dem SGB XII zu gewähren. Im Übrigen werden der Antrag des Antragstellers und die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens für beide Rechtszüge.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen eine einstweilige Verpflichtung, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren.
Der 1959 geborene Antragsteller ist litauischer Staatsbürger. In der Ausländerakte der Antragsgegnerin ist vermerkt, dass er am 12.10.2015 erstmals nach Deutschland eingereist sei; ein (weiterer) Zuzug ist für den 15.12.2016 verzeichnet. Einzelheiten zu seinem Aufenthalt zwischen diesen Daten sind nicht bekannt. Seit Dezember 2016 lebt der Antragsteller im Haus der Wohnungslosenhilfe (HdW) der C-Stiftung in N, nachdem er am Bahnhof N als hilflose Person aufgefunden und zunächst in der LWL-Klinik in N behandelt worden war.
Nach einem (von seinem rechtlichen Betreuer im September 2018 dem Ausländeramt der Antragsgegnerin vorgelegten) undatierten Bericht des Facharztes für Psychiatrie Dr. M erlitt der Antragsteller im September 2016 sowie im Oktober 2017 Stürze mit Hirnschädigungen. Der Antragsteller sei völlig hilflos und benötige für die Aktivitäten des täglichen Lebens Anleitung und Unterstützung. Er sei körperlich und psychisch schwer krank. Aufgrund der hirnorganischen Einschränkungen sei auf absehbare Zeit nicht mit einer Besserung des Zustandes zu rechnen; es bestehe Vergleichbarkeit mit einer schweren dementiellen Erkrankung. Ein Rückführungsversuch ins Herkunftsland dürfte nicht möglich sein; eine Abschiebung würde nach ärztlicher Einschätzung in eine rasch lebensbedrohliche medizinische und soziale Notlage führen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des Dr. M Bezug genommen.
Ausweislich eines Berichts zweier Sozialarbeiterinnen der Antragsgegnerin, die den Antragsteller am 02.05.2019 im HdW aufgesucht und dort mit ihm, einem dortigen Sozialarbeiter und einer Krankenschwester unter Beteiligung einer Dolmetscherin gesprochen hatten, ist dieser zu Ort und Zeit nicht sicher orientiert. Sein Situationsverständnis wirke unsicher. Durch eine leichte Halbseitenlähmung bestehe eine Gangunsicherheit. Der Antragsteller benötige bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens Anleitung und Unterstützung. Die Mahlzeitenversorgung werde durch das HdW sichergestellt, wobei der Antragsteller an die Einnahme der Mahlzeiten erinnert werde. Seine Körperpflege erfolge unter Anleitung mit teilweiser Übernahme. Es bestehe eine Harn- sowie teilweise Stuhlinkontinenz. Das HdW übernehme die Wäschepflege. Der Antragsteller verlasse das HdW selbständig nur noch für den kurzen Weg zu einem Kiosk. Seinen Alkoholkonsum gebe er mit bis zu einer Flasche Wein täglich an. In den letzten Jahren sei es zu zahlreichen Krankenhausaufenthalten gekommen. Eine aktuelle Medikation sei nicht bekannt; auch erfolge keine Behandlungspflege. Der Antragsteller habe Fragen nicht zielgerichtet beantworten können; es sei deutlich geworden, dass er komplexeren Fragestellungen und Sinnzusammenhängen nicht habe folgen können. Aufgrund seiner Einschränkungen wäre er nicht in der Lage, sich in Litauen selbständig das erforderliche Hilfesystem aufzubauen. Eine selbständige Reise sei durch die kognitiv bedingte deutliche Orientierungslosigkeit und starke Seheinschränkung unmöglich. Es sei davon auszugehen, dass Pflegebedürftigkeit bestehe; bei weiter fortschreitender Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei auf Dauer eine vollstationäre Pflegenotwendigkeit absehbar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht der Sozialarbeiterinnen vom 02.05.2019 Bezug genommen.
Der Antragsteller ist mittellos; seine Versorgung wird ausschließlich vom HdW auf dessen Kosten s...