Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. psychische Erkrankung. stärker behindernde Störungen. wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. sozialgerichtliches Verfahren. Antrag auf Beiziehung der vollständigen Behandlungsunterlagen und deren Vorlage an den Gutachter. fachliches Auswahlermessen des Gutachters

 

Orientierungssatz

1. Die Annahme stärker behindernder Störungen nach Nr 3.7 in Teil B der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 VersMedV), welche mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten sind, setzt eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit voraus.

2. Es ist grundsätzlich Aufgabe des Gutachters, aufgrund eigener Fachkenntnis zu beurteilen, ob der Akteninhalt zur Beantwortung der Beweisfragen ausreichend ist oder weitere Unterlagen beizuziehen oder sogar Zusatzgutachten erforderlich sind. Ein Beweisantrag, welcher darauf gerichtet ist, alle vollständigen Unterlagen zu aktenkundigen Behandlungen beizuziehen und diese dem Gutachter vorzulegen, ist daher abzulehnen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 09.07.2015; Aktenzeichen B 9 SB 19/15 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 10.05.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Gunsten der Klägerin einen höheren Grad der Behinderung - GdB - als 50 (mindestens 70) seit der Stellung eines sog. Verschlimmerungsantrages im Mai 2009 festzustellen hat.

Die 1968 geborene Klägerin war bis 2006 als Bürokauffrau/Sachbearbeiterin beschäftigt. Anlässlich einer vierwöchigen Rehabilitation im Mai und Juni 2006 (Kostenträger: Deutsche Rentenversicherung Bund) berichtete sie von psychosozialen Konfliktkonstellationen am Arbeitsplatz. Im dazu erstellten Entlassungsbericht wurde als Diagnose unter anderem eine depressive Episode aufgeführt. Eine gezielte psychotherapeutische Behandlung erfolgte nicht. Seit 2010 bezieht die Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung, nachdem eine im Auftrag des Rentenversicherungsträgers erfolgte Begutachtung im März 2010 ein aufgehobenes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wegen einer mittel- bis grenzwertig schwergradigen depressiven Episode ergeben hatte. Die zunächst befristet gewährte Rente wurde nach Einholung eines Befundberichts vom behandelnden Facharzt für Neurologie und Psychiatrie T ab Juli 2012 auf Dauer bewilligt.

Bereits im April 2008 hatte die Klägerin einen ersten Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz gestellt, der von der Beklagten mit der Begründung ablehnt wurde, die festgestellten Beeinträchtigungen verursachten keinen GdB von mindestens 20 (Bescheid vom 30.09.2008).

Vom 15.07 bis 05.09.2008 und nach einer Probeentlassung erneut vom 05.09. bis 10.10.2008 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des F-Krankenhauses in H. In den dazu ergangenen Entlassungsberichten wird als Diagnose eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome angegeben. Berichtet wurde über eine deutlich verringerte Schwingungsfähigkeit (affektstarr, vom Antrieb her ebenso deutlich gemindert).

Aufgrund eines von der Klägerin im Oktober 2008 erneut gestellten Antrags nach dem Schwerbehindertengesetz stellte die Beklagte mit Bescheid vom 07.01.2009 einen GdB von 50, ausgehend von einem Einzel-GdB von 50 für die seelischen Leiden und von jeweils 10 für venöses Beinleiden, Wirbelsäulen-Syndrom, Sehminderung/Augenerkrankung und Allergien fest.

Im Mai 2009 machte die Klägerin sodann eine Verschlimmerung ihrer seelischen Leiden geltend und beanstandete, dass ein seit längerem bestehender Herzfehler (Mitralklappenprolaps) unberücksichtigt geblieben sei. Die Beklagte zog vorläufige Entlassungsberichte über weitere stationäre Behandlungen der Klägerin im F-Krankenhaus vom 09.02. bis 27.02.2009, vom 17.03 bis 30.04.2009, vom 01.06. bis 12.06.2009 und vom 14.06. bis zum 03.07.2009 sowie über einen Aufenthalt in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des N-M-Krankenhauses in C vom 03.07. bis 05.10.2009 (mit zwei kurzen Unterbrechungen) bei. Als Diagnosen wurden genannt: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode; emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline Typ. Eine Erhöhung des GdB lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.01.2010 ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren gelangte ein nervenärztlicher Befundbericht vom Facharzt für Neurologie und Psychiatrie T sowie das für die Rentenversicherung erstellte Gutachten von Dr. E (Diagnosen: Rezidivierende depressive Episode, sonstige Reaktion auf schwere biografische Belastung, vorbeschriebene emotional instabile Persönlichkeit und Verdacht auf Zwangsstörung) zu den Verwaltungsakten. In einer für die Beklagte erstellten gutachterlichen Stellungnahme zum Verschlimmerungsantrag durch die Ärztin C heißt es, der Mi...

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