Entscheidungsstichwort (Thema)

Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers gegen den potentiell Unterhaltspflichtigen

 

Orientierungssatz

1. Die Regelung des § 117 Abs. 1 S. 1 SGB 12 begründet einen eigenständigen Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers. Danach haben Unterhaltspflichtige, ihre nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und Kostenersatzpflichtige dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung des SGB 12 dies erfordert.

2. Ein entsprechendes Auskunftsersuchen ist nur dann rechtswidrig, wenn offensichtlich kein überleitbarer Anspruch besteht. Die Negativevidenzprüfung kann nicht auf die Überprüfung nicht offensichtlicher Fragen ausgedehnt werden. Lässt sich das Vorbringen des potentiell Auskunftspflichtigen nicht belegen bzw. ist dessen Vorbringen nicht schlüssig, so ist eine Negativevidenz nicht gegeben.

3. Stellt sich der Sachvortrag des vermeintlich Auskunftspflichtigen hinsichtlich des Wegfalls eines Unterhaltsanspruchs als schlüssig und eine Beweisbarkeit des Vortrags als nicht unwahrscheinlich dar, so ist ein Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers ausgeschlossen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23.11.2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007 aufgehoben.

Die Kosten der Verfahren beider Rechtszüge trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird endgültig auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Aufforderung zur Auskunftserteilung der Beklagten gegenüber der Klägerin nach § 117 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Die am 00.00.1954 geborene Klägerin ist die Tochter von Herrn X M. 1973/1974 versagte Herr X M seiner in diesem Zeitraum nach damaligem Recht noch minderjährigen Tochter die Einwilligung, ihren jetzigen Ehemann zu ehelichen. Mit Beschluss vom 05.06.1974 ersetzte das Amtsgericht (AG) Wattenscheid daraufhin die fehlende Einwilligung des Herrn X M sowie seiner Ehefrau, der Mutter der Klägerin, auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 Ehegesetz. Herr X M bezog seit dem 01.12.2005 fortlaufend Leistungen der Sozialhilfe, seit dem 01.11.2006 in Gestalt von Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen gemäß § 35 SGB XII und Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61 ff. SGB XII, von der Beklagten. Mit Bescheid vom 30.01.2007 forderte die Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf § 117 SGB XII auf, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen sowie näher bezeichnete diesbezügliche Unterlagen und Belege vorzulegen. Dabei wies sie darauf hin, dass sie Herrn X M ab 01.12.2005 Leistungen nach dem SGB XII gewähre. Gemäß §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei die Klägerin ihrem Vater gegenüber grundsätzlich unterhaltspflichtig. Etwaige Unterhaltsansprüche seien aufgrund der Leistungsgewährung nach dem SGB XII auf die Beklagte übergegangen. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 12.02.2007 am 14.02.2007 Widerspruch ein. Ein Anspruch der Beklagten auf Auskunft gemäß § 117 SGB XII existiere ihr gegenüber nicht. Eine Auskunftserteilung lehne sie ab. Sie habe seit 34 Jahren, dem Zeitpunkt ihrer Heirat, keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Dieser habe sich bewusst und endgültig von ihr abgekehrt. Des Weiteren sei ihr zugetragen worden, dass ihr Vater seit 1974 behaupte, sie "sei verstorben". Daher habe sich ihr Vater einer schweren Verfehlung schuldig gemacht, sodass sie ihm gegenüber nicht zum Unterhalt verpflichtet sei. Das Verhalten ihres Vaters ihr gegenüber sei "grob unbillig". Mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei grundsätzlich zur begehrten Auskunftserteilung verpflichtet. Ein Auskunftsverlangen sei auch dann rechtmäßig, wenn noch nicht feststehe, ob ein Unterhaltsanspruch bestehe. Zur Auskunft verpflichtet sei, wer als Unterhaltsschuldner des Leistungsberechtigten in Betracht komme. Das Auskunftsersuchen sei nur dann rechtswidrig, wenn offensichtlich kein überleitbarer Anspruch bestehe. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Ein Anspruch des Herrn X M gegen die Klägerin auf Zahlung von Unterhalt gemäß §§ 1601 ff. BGB sei auch vor dem Hintergrund des Vorbringens der Klägerin im Widerspruchsverfahren nicht offensichtlich ausgeschlossen. Hiergegen hat die Klägerin am 03.09.2007 Klage erhoben. Sie hat im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend ausgeführt, sie wisse, dass ihr Vater mit ihrem Wunsch, ihren jetzigen Ehemann zu heiraten, vor 34 Jahren nicht einverstanden gewesen sei. Dieser habe sich für seine Tochter damals wohl einen anderen Mann vorgestellt und möglicherweise auch "ausgeguckt". Aufgrund ihres Entschlusses dennoch zu heiraten, sei sie durch ihren Vater "vor die Tür gesetzt" worden. Daraufhin habe sie den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen. Ihr Vater habe all dieses wohl nie verwu...

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