Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Antrag auf Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes. zweistufiges Verfahren nach § 103 SGB 5. bestandskräftige Anordnung der Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens durch Zulassungsausschuss. keine Kompetenz des Berufungsausschusses, das Vorhandensein eines Praxissubstrats zu verneinen
Orientierungssatz
1. § 103 SGB 5 ordnet für das Nachbesetzungsverfahren ein zweistufiges Verfahren an. Auf der ersten Stufe wird über die Durchführung des Nachbesetzungsverfahren entschieden (§ 103 Abs 3a SGB 5), auf der zweiten Stufe findet die Bewerberauswahl statt (§ 103 Abs 4ff SGB 5). Der auf der ersten Stufe ergangene stattgebende Bescheid des Zulassungsausschusses entfaltet Rechtswirkungen für das nachfolgend durchzuführende Nachbesetzungsverfahren. Die Zulassungsgremien dürfen die Durchführung des Ausschreibungsverfahrens nach Bestandskraft nicht mehr mit der Begründung ablehnen, dass die Voraussetzungen für die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens von vornherein nicht gegeben waren (BSG vom 12.2.2020 - B 6 KA 19/18 R = SozR 4-2500 § 103 Nr 29 RdNr 20, 33). Soweit der Senat sich in einem nach neuem Recht zu beurteilenden Nachbesetzungsverfahren auf der zweiten Stufe mit der Frage des noch vorhandenen Praxissubstrats beschäftigt hat (LSG Essen vom 19.12.2018 - L 11 KA 86/16), hält er an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest.
2. Nach § 103 Abs 4 S 4 SGB 5 hat der Zulassungsausschuss bzw nachfolgend der Berufungsausschuss unter mehreren Bewerbern, die die ausgeschriebene Praxis als Nachfolger des bisherigen Vertragsarztes fortführen wollen, den Nachfolger nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen. Verneint der Berufungsausschuss das Vorhandensein eines Praxissubstrats, obgleich der Zulassungsausschuss die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens hinsichtlich des Vertragsarztsitzes bereits bestandskräftig angeordnet hat, so fehlt ihm für eine derartige Entscheidung indes an einer Ermächtigungsgrundlage.
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 08.05.2019 geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Beschlusses vom 25.01.2017 verpflichtet, die Widersprüche der Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senates neu zu bescheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, jeweils mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung als Fachärzte für Innere Medizin - Schwerpunkt Nephrologie - für den von der Beigeladenen zu 7) ausgeschriebenen Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 8).
Der 1950 geborene Beigeladene zu 8) war seit dem 7. Mai 1992 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er war seither als Arzt fachärztlich - wechselnd im Rahmen einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis - tätig. Eine Facharzt- und Schwerpunktbezeichnung führte er nicht. Er unterhielt zuletzt seit August 2010 zusammen mit Herrn Dr. B J, Facharzt für Innere Medizin, eine nephrologische Gemeinschaftspraxis mit Dialysezentraum, welche als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) geführt wurde. Die vertragsärztliche Zulassung des Dr. J war dabei als eine an die Zulassung des Beigeladenen zu 8) gekoppelte Sonderbedarfszulassung erteilt worden. Sowohl der Beigeladenen zu 8) als auch sein Partner hatten zusätzlich zwei Versorgungsaufträge Dialyse gemäß § 3 Abs. 3a der Anlage 9.1 des Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) inne.
Die Zulassung des Beigeladenen zu 8) bezog sich langjährig auf die Praxisanschrift in der C-Straße. 200 in Castrop-Rauxel. Mit Wirkung zum 1. Januar 2014 wurde die Verlegung des Vertragsarztsitzes des Beigeladenen zu 8) an den Standort E-Straße 32 in Castrop-Rauxel genehmigt. Eine weitere - genehmigte - Verlegung des Vertragsarztsitzes des Beigeladenen zu 8) fand dann mit Wirkung zum 1. Juli 2014 an den Standort X-Straße 40 in Castrop-Rauxel statt.
Die Anmietung der Praxisräume C-Straße 200 - ohne Räumlichkeiten für die Dialyseleistungen - erfolgte durch den Beigeladenen zu 8) als Mieter gegenüber den ehemaligen Geschäftsführern der A Health Care GmbH als Vermietern. Diese Praxisräume kündigte der Beigeladene zu 8) fristgerecht zum 1. Juli 2014 und übergab sie ordnungsgemäß geräumt. In der Folgezeit haben diese Räumlichkeiten - nach seinem weiteren Vortrag in Parallelverfahren - teilweise leer gestanden, teilweise seien sie von einer Zahnarztpraxis genutzt worden.
Seit den frühen 90er Jahren hatte der Beigeladene zu 8) zudem Kooperationsverträge mit der o.g. A Health Care GmbH bzw. deren Rechtsvorgängerin, der A Medizintechnik GmbH, abgeschlossen (zuletzt Kooperationsvertrag vom 28. April 2003). Die Laufzeit des Vertrages betrug 20 Jahre. Ziel der Kooperation war, dass sich die GmbH um die Anmietung und Einrichtung der Dialyseräume für die Gemeinschafts- bzw. Einzelpraxis kümmerte (= Betrieb des Dialysezentrums). Vertraglich sollte durch die Gm...