Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Kopaigorod. Transnistrien. Rumänien. Zahlbarmachung von Ghettorenten. Ersatzzeit
Orientierungssatz
1. Zur Anerkennung einer (fiktiven) Ghettobeitragszeit im Ghetto Kopaigorod in Transnistrien / Rumänien.
2. Im Zeitraum von September 1941 bis April 1943 war Transnistrien iS des § 1 Abs 1 S 1 Nr 2 weder in das Deutsche Reich eingegliedert noch vom Deutschen Reich besetzt.
3. Aus der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs 2 ZRBG ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber über die in den §§ 20 WGSVG und § 17a FRG geregelte Gleichstellung von vertriebenen Verfolgten mit anerkannten Vertriebenen hinaus Verfolgte in die gesetzliche Rentenversicherung als Berechtigte einbeziehen wollte, die wegen fehlender Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis oder fehlendem Erwerb von Beitragszeiten im Geltungsbereich der RVO außer den Beschäftigungszeiten in einem Ghetto keine weiteren berücksichtigungsfähigen Beitragszeiten oder Ersatzzeiten erworben, also durch die Verfolgungsmaßnahmen kausal keinen Schaden in der deutschen Rentenversicherung erlitten haben.
4. Verfolgungsersatzzeiten nach § 250 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 6 setzen ua voraus, dass die Verfolgten zu Beginn der Verfolgungsmaßnahmen die Voraussetzungen für die Einbeziehung in die gesetzliche deutsche Rentenversicherung erfüllten (vgl BSG vom 8.9.2005 - B 13 RJ 20/05 R).
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Altersruhegeldes (ARG) unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die am 00.00.1921 in B, Bessarabien, geborene Klägerin ist Jüdin. Im Sommer 1941 wurde sie aus M in Bessarabien nach Transnistrien deportiert. 1972 wanderte die Klägerin aus der Sowjetunion nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit.
Im März 1993 beantragte sie bei der Claims Conference die Gewährung von Leistungen aus dem Article 2 Fund. Sie gab an, sie habe sich in der Zeit von August 1941 bis Sommer 1942 im Ghetto Kopaigorod, im Sommer und Herbst 1942 im Lager neben Kopaigorod sowie von Herbst 1942 bis März 1944 im Ghetto Kopaigorod aufgehalten. Die Klägerin bezieht Leistungen aus dem Article 2 Fund.
Auf ihren Antrag von Februar 2001 erhielt die Klägerin Leistungen nach dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) für die Zeit "1941 in Kopaigorod".
Im Mai 2003 beantragte die Klägerin, die im Ghetto zurückgelegten Beitragszeiten nach dem ZRBG sowie Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) anzuerkennen und ihr eine Rente sowie eine freiwillige Weiterversicherung nach § 7 SGB VI zu gewähren. Sie sei Verfolgte nach § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) und während der Verfolgungszeit in einem Ghetto abhängig gegen Entgelt beschäftigt gewesen. Sie habe in der Zeit von Januar 1942 bis Januar 1944 innerhalb des Ghettos Kopaigorod in einer Bäckerei gearbeitet. Sie sei weder auf dem Weg von und zur Arbeit noch während der Arbeit bewacht worden. Der Arbeitseinsatz sei ihr von Herrn X vermittelt worden. Sie habe die Betriebsräume aufgeräumt, Rohmaterial getragen, Hilfsarbeiten verrichtet. Die Arbeitszeit habe 10 - 12 Stunden betragen. Als Arbeitslohn habe sie Essen am Arbeitsort und eine zusätzliche Verpflegung erhalten. Barlohn habe sie nie erhalten. Sie sei in der Zeit von 1944 bis 1947 krank gewesen. Die Klägerin verneinte die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK). Mit Bescheid vom 15.07.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Das ZRBG finde auf Ghettos, die sich wie das Ghetto Kopaigorod in Transnistrien befunden hätten, keine Anwendung.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, dass unter dem in § 1 ZRBG verwendeten Begriff "Besetzung durch das Deutsche Reich" das Tätigwerden von Hoheitsträgern des Deutschen Reiches in den Gebieten zu verstehen sei, in denen die Gebietshoheit auf diese Hoheitsträger ganz oder teilweise übergegangen sei. Transnistrien sei nicht rumänisches Staatsgebiet geworden. Der Vertrag von Tighina bestimme lediglich, dass dieses Gebiet unter rumänischer Kontrolle stehe. Trotz des Vertrages sei Transnistrien weiterhin Besatzungsland unter deutscher Oberhoheit gewesen. Am 09.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Eine Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG könne nicht erfolgen. Das ZRBG finde keine Anwendung für Verfolgte, die sich in einem Ghetto aufgehalten hätten, das sich auf rumänischem Staatsgebiet bzw. in einem unter rumänischer Verwaltungshoheit stehenden Gebiet befunden habe. Das Gebiet Transnistrien habe nicht zu einem gemeinsamen deutsch-rumänischem Besatzungsgebiet gehört, sondern Rumänien habe die Verwaltungshoheit über Transnistrien durch ein vom Staatschef Antonesu erlassenes Dekret vom 19.08.1941 übernommen. Auch der zw...