Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfüllung der für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte erforderlichen 45-jährigen Wartezeit. Bezug von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn. Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 SGB 6. keine Fingierung einer Verzichtserklärung auf die Versicherungsfreiheit im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschrift des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 SGB 6 ist mit dem GG vereinbar (vgl BSG vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R = BSGE 124, 58 = SozR 4-2600 § 51 Nr 1 sowie B 5 R 16/16 R, LSG Celle-Bremen vom 2.3.2016 - L 2 R 517/15, LSG Stuttgart vom 21.6.2016 - L 9 R 695/16 und vom 21.6.2017 - L 2 R 1071/17, LSG Mainz vom 24.4.2017 - L 2 R 471/16, LSG München vom 15.3.2017 - L 19 R 696/15 sowie LSG Berlin-Potsdam vom 26.1.2017 - L 22 R 578/15).

2. Zu den Voraussetzungen des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.

3. Ist mit der Abgabe einer Erklärung (hier der Verzichtserklärung auf die Versicherungsfreiheit) eine vollständig andere Gestaltung des bestehenden Versicherungsverhältnisses auch mit betroffenen Dritten verbunden, lässt sich die Erklärung nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingieren.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 16.10.2019; Aktenzeichen B 13 R 175/18 B)

 

Tenor

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

 

Tatbestand

Die am 00.00.1951 geborene Klägerin trat am 10.03.1968 in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Ab dem 01.07.1968 bis einschließlich April 2015 sind mit Ausnahme der Monate Februar 1976 bis März 1977 Pflichtbeitragszeiten erfasst, wobei die Klägerin in der Zeit vom 08.07.2014 bis 29.04.2015 Arbeitslosengeld I bezog. Dem vorausgehend war sie zunächst unter Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) ab dem 01.09.2012 als Teilzeitbeschäftigte mit 30 Stunden wöchentlich im Büro des M-Gebietsleiters der Niederlassung N im Aufgabenfeld "Bestandsakquise" beschäftigt und hier für die Terminierung der Bezirksleiter zuständig. Zum 30.06.2014 wurde ihr aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Seit April 2003 übte die Klägerin im Übrigen versicherungsfrei eine geringfügig entlohnte Beschäftigung beim C B aus.

Am 02.07.2014 stellte die Klägerin im Service-Zentrum N der DRV Rheinland beim dortigen Mitarbeiter T einen Antrag auf Kontenklärung und reichte am 03.07.2014 Unterlagen ein. Eine weitere Beratung erfolgte am 27.11.2014. Am 28.01.2015 beantragte sie bei der Beklagten die Bewilligung der ungekürzten Altersrente ab sofort. Diese stehe ihr als Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu. Zugleich beantragte sie hilfsweise die Auszahlung der Rente in Höhe der ihr zustehenden Frauenrente ab Mai 2015.

Telefonisch und mit Schreiben vom 27.02.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die Wartezeit von 45 Jahren (540 Monaten) nicht erfülle. Die Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs ab 08.07.2014 würden bei der Wartezeitberechnung nicht berücksichtigt, da diese nicht durch eine Insolvenz oder Geschäftsaufgabe verursacht worden seien. Es werde daher wie beantragt die Altersrente für Frauen ab 01.05.2015 gewährt.

Die Bewilligung der Altersrente für Frauen erfolgte mit Bescheid vom 20.03.2015 für die Zeit ab 01.05.2015. Den Antrag auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte gem. § 236b SGB VI lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.04.2015 ab. Ausgehend von einem gewünschten Rentenbeginn ab 01.01.2015 enthalte das Versicherungskonto statt der erforderlichen 540 Monate Wartezeit nur 534 Wartezeitmonate. Die Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs ab dem 08.07.2014 lägen in einem Zeitraum bis zu zwei Jahren vor Beginn der Rente. Dieser Leistungsbezug zähle nicht mit bei der Wartezeitprüfung, da er nicht durch eine Insolvenz oder Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers verursacht worden sei.

Gegen die Bescheide vom 20.03.2015 und 13.04.2015 legte die Klägerin am 20.04.2015 Widerspruch ein. Sie gehe davon aus, dass sie die Wartezeit von 45 Jahren erfülle. Die Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn seien auf die Wartezeit anzurechnen. Die Vorschrift des § 51 Abs. 3a S. 1 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB VI, die dieses nur bei Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers vorsehe, halte sie für verfassungswidrig.

Die Beklagte wies den Widerspruch "gegen den Bescheid vom 13.04.2015" mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2015 zurück. Sie sei an Recht und Gesetz gebunden. Ob das Gesetz verfassungsmäßig sei, könne nur das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) prüfen.

Die Klägerin hat am 21.09.2015 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt. Sie hat ihre Auffassung dazu, dass die 10 Monate Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung bei der Wartezeitberechnung zu berücksichtigen seien, vertiefend dargelegt. Soweit § 51 Abs. 3a SGB VI die Berücksichtigung nur dann vorseh...

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