Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte. Anwendbarkeit des § 44 SGB 10. Einkommenseinsatz. Zuordnung des Kindergeldes. volljähriges behindertes Kind. Abzweigung nach § 74 EStG. Anrechnung von Naturalleistung
Orientierungssatz
1. § 44 SGB 10 findet auch auf Leistungen nach dem GSiG Anwendung.
2. Der Anwendbarkeit des § 44 SGB 10 steht auch nicht die vom BVerwG in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung zur Nichtanwendbarkeit des § 44 SGB 10 im Sozialhilferecht (vgl BVerwG vom 23.6.1994 - 5 C 26/92 = BVerwGE 96, 152 = DVBl 1994, 1314) entgegen.
3. Das Kindergeld für einen im Haushalt lebenden volljährigen Behinderten ist bei der Bemessung von Grundsicherungsleistungen nicht als dessen Einkommen zu werten, wobei es auch nicht darauf ankommt, ob das Geld dem Kind von dem kindergeldberechtigten Elternteil zugewendet worden ist (Anschluss an BSG vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/06 R = SozR 4-3500 § 41 Nr 1 und BVerwG vom 28.4.2005 - 5 C 28/04 = NJW 2005, 2873).
4. Zur Berücksichtigung von Naturalleistungen der Eltern bei der Einkommensermittlung des grundsicherungsberechtigten Kindes.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.01.2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Überprüfung bestandskräftiger Bewilligungsbescheide über Leistungen der Grundsicherung für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.05.2004 wegen der Anrechnung von Kindergeld als Einkommen. Der am 00.00.1965 geborene Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 80 bei Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "G" und "B" schwerbehindert. Seit August 1988 arbeitet er in einer Werkstatt für schwerbehinderte Menschen. Am 02.01.2003 stellte er einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen und gab dabei u.a. an, dass sein Vater Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR monatlich für ihn erhalte. Mit Bescheid vom 27.03.2003 bewilligte die Beklagte Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz ab dem 01.01.2003 in Höhe von 506,55 EUR monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 24.11.2003 bewilligte sie Leistungen ab Dezember 2003 in Höhe von 523,84 EUR monatlich und mit Bescheid vom 17.02.2004 für die Zeit ab Januar 2004 in Höhe von 546,09 EUR monatlich. Dabei berücksichtigte sie jeweils das Kindergeld als Einkommen des Klägers.
Mit Schreiben vom 11.06.2004 wies der Kläger darauf hin, dass nach der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen sei, dass die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen rechtswidrig sei. Er beantrage die Rücknahme aller Bewilligungsbescheide ab dem 01.01.2003 und die Neubewilligung der Leistungen ohne Anrechnung des Kindergeldes.
Mit Bescheid vom 21.04.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. § 44 Sozialgesetzbuch Zehnter Teil - SGB X - finde nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Sozialhilfe und damit analog auch bei den Grundsicherungsleistungen keine Anwendung. Darüber hinaus sei das gewährte Kindergeld zu Recht als Einkommen des Klägers angerechnet worden. Den hiergegen am 29.04.2005 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die Rechtswidrigkeit der Anrechnung des den Eltern zustehenden Kindergeldes zwischenzeitlich auch durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden sei. Gemäß § 48 Abs. 2 SGB X könne er eine Neubescheidung seines Antrags unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das Kindergeld sei zu Recht als Einkommen im Sinne des § 76 BSHG angerechnet worden. Gemäß § 74 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes könnten volljährige Kinder die Auszahlung des Kindergeldes an sich selbst erwirken, wenn der Kindergeldberechtigte ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Dies gelte auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig sei oder Unterhalt nur in geringer Höhe leisten müsse. Der Bundesfinanzhof habe entschieden, dass ein Auszahlungsanspruch des Kindes analog § 74 Abs. 1 Satz 1 und 3 Einkommensteuergesetz bestehe, obwohl der Vater gegenüber seinem Kinde nicht mehr gesetzlich unterhaltspflichtig war. Auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen habe mit Beschluss vom 02.04.2004 (12 B 1577/03) entschieden, dass die in jenem Fall erfolgte Anrechnung des an den kindergeldberechtigten Vater gezahlten Kindergeldes bei der Bemessung der Grundsicherungsleistungen des Kindes rechtmäßig sei. Die entgegenstehende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.12.2004 (5 B 47/04) überzeuge nicht, da sich das Gericht nicht mit der Selbsthilfemöglichkeit des § 74 Einkommensteuergesetz bzw. der Bedarfsdeckung durch das dem Haushalt zufließende Kindergeld auseinandergesetzt habe. Seit dem 01.01.2005 habe der Gesetzgeber in § 82 Abs. 1 Satz 2 S...