Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsförderung. Kurzarbeitergeldanspruch. Homeoffice- und Außendienstmitarbeiter eines ausländischen Unternehmens. Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen. inländischer Betrieb. Produktion von Dienstleistungen
Orientierungssatz
Ein ausländisches Unternehmen kann für seinen im Inland dauerhaft beschäftigten Arbeitnehmer, der ausschließlich Dienstleitungen erbringt (hier: Installation und Wartung von Maschinen, Kundenberatung) und der Sozialversicherungspflicht in Deutschland unterliegt, Kurzarbeitergeld wegen des Arbeitsausfalls während der Corona-Pandemie beanspruchen, auch wenn sich der Sitz, die Leitung und wesentliche technische Einrichtungen des Unternehmens im Ausland befinden.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13.05.2022 geändert.
Der Bescheid vom 23.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2020 sowie die Bescheide vom 12.10.2020 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, für den Zeitraum April 2020 bis Juni 2020 Kurzarbeitergeld und Beiträge zur Sozialversicherung für den Mitarbeiter E. I. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte hat in beiden Instanzen die Kosten der Klägerin zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Kurzarbeitergeld für den Zeugen, ihren in Deutschland tätigen Mitarbeiter E. I..
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts (Società per azioni) mit Sitz in K. (Lombardei). Sie stellt Maschinen zur Werkzeugvermessung her und beliefert damit ua die Automobilindustrie. Der Zeuge wohnt in U., er ist seit dem Jahr 2007 bei der Klägerin als Servicetechniker für die Einrichtung und Wartung der elektrischen Maschinen angestellt. Daneben ist er auch in der Kundenberatung und im Verkauf tätig. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Betreuung der deutschen Kunden, er ist der einzige Mitarbeiter in Deutschland. Der Zeuge erledigte 2019 seine Tätigkeiten wie z.B. Kundenberatung per Telefon oder online an ca. der Hälfte der Arbeitstage von seiner Privatwohnung aus. Andere Arbeiten musste der Zeuge vor Ort bei den Kunden durchführen, wie z.B. die Einrichtung und Wartung der Maschinen. Von seinem Arbeitgeber hat er einen Laptop, einen Werkzeugkoffer mit Prüfdornen, Muster, Arbeitskleidung und einen Firmenwagen erhalten. Die Lohnabrechnung erfolgt über die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten. Die Leitung, Koordinierung sowie Einteilung der Einsätze erfolgte von der Zentrale in Italien aus, dort befand sich auch die Personalleitung. Aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie fielen die Vor-Ort-Termine des Zeugen ab April 2020 weitgehend weg. Darüber hinaus fanden ab diesem Zeitpunkt keine Neuinvestitionen in den Unternehmen mehr statt, weshalb sich die Arbeitszeit des Zeugen weiter verringerte.
Die Klägerin schloss am 14.04.2020 eine Vereinbarung mit dem Zeugen über die Einführung von Kurzarbeit ab und zeigte am gleichen Tag den Arbeitsausfall von April 2020 bis Juni 2020 bei der Agentur für Arbeit S. an. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Zeugen sollte von 40 auf 0 Stunden reduziert werden. Tatsächlich arbeitete der Zeuge jedoch in reduziertem Umfang weiter, von dem Brutto-Soll-Entgelt iHv 3.000 EUR erhielt er im April 2020 68,18 EUR, im Mai 2020 687,50 EUR und im Juni 2020 1.082,39 EUR.
Mit Bescheid vom 23.04.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit: "Ihrer Anzeige kann nicht entsprochen werden." Die Gewährung von Kurzarbeitergeld sei nur möglich, wenn der Betrieb seinen Sitz in der Bundesrepublik Deutschland habe. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall.
Die Klägerin beantragte am 30.04.2020 das Kurzarbeitergeld und die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen iHv 2.169,76 EUR für April 2020.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid am 20.05.2020 Widerspruch ein. Sie zahle für ihren Mitarbeiter Sozialversicherungsbeiträge, weshalb auch Kurzarbeitergeld zu gewähren sei. Es bestehe EU-weit ein Anspruch auf Gleichbehandlung.
Die Klägerin beantragte am 02.06.2020 das Kurzarbeitergeld und die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen iHv 1.651,15 EUR für Mai 2020 und am 03.07.2020 iHv 1.317,97 EUR für Juni 2020.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2020 zurück. Die Klägerin unterhalte keinen Betrieb in Deutschland. Für einen in Deutschland lediglich im Home-Office tätigen Mitarbeiter bestehe kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld, auch wenn Sozialversicherungsbeiträge gezahlt würden.
Die Beklagte lehnte die Anträge auf Kurzarbeitergeld für die Monate Mai 2020 und Juni 2020 mit Bescheiden jeweils vom 12.10.2020 ab. Hiergegen legte die Klägerin am 28.10.2020 jeweils Widerspruch ein, die Widerspruchsverfahren ruhen.
Die Klägerin hat am 19.10.2020 Klage erhoben. Sie zahle für den Zeugen in Deutschland Sozialversicherungsbeiträge und müsse daher auch einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld für diesen haben. Darüber hinaus sei ein Ausschluss der Klägerin vom Kurzarbeitergeld nicht mit de...