Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergangsgeldzahlung während einer Eignungsabklärung. Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 45 Abs 3 SGB 9. Arbeitserprobung

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Eignungsabklärung/Arbeitserprobung handelt es sich nicht um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.

2. Die Regelung des § 45 Abs 3 SGB 9, in deren Folge Erwerbstätige anders behandelt werden als Bezieher von Arbeitslosengeld/Krankengeld, verstößt nicht gegen Art 3 GG.

 

Normenkette

SGB IX § 45 Abs. 3, § 33 Abs. 4; SGB VI §§ 16, 20 Nr. 1; GG Art. 3

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.07.2017; Aktenzeichen B 13 R 110/17 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 09.08.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Bewilligung von Übergangsgeld für die Dauer der Teilnahme an einer Maßnahme zur Abklärung der beruflichen Eignung und Arbeitserprobung (nachfolgend: Eignungsabklärung/Arbeitserprobung).

Der 1968 geborene Kläger nahm in der Zeit vom 14.08. bis zum 18.09.2012 an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der "M C", M, teil. Aus dieser Maßnahme wurde der Kläger aufgrund der Diagnosen mittelgradige depressive Episode und ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung zwar arbeitsunfähig, aber grundsätzlich leistungsfähig in einem Umfang von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr für seine zuletzt verrichtete Tätigkeit als Kommunikationselektroniker entlassen. Es wurde die Durchführung von Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben empfohlen. Seit dem 16.07.2013 bezog der Kläger - auch für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 03.02.2014 bis zum 07.03.2014 - Arbeitslosengeld (Bescheid der Agentur für Arbeit Bochum vom 03.08.2013).

Mit Bescheid vom 25.07.2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach. In dem Bescheid ist ausgeführt, dass der Kläger über Art und Umfang dieser Leistungen noch einen weiteren Bescheid erhalten werde. Mit Schreiben vom 06.11.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass es zur Auswahl einer für ihn zweckmäßigen Leistung erforderlich sei, seine berufliche Eignung abzuklären und eine Arbeitserprobung durchzuführen. Als Beginn sei der 03.02.2014 vorgesehen. Den Antrag des Klägers vom 13.01.2014 auf Bewilligung von Übergangsgeld für die Dauer der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.01.2014 ab. Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung nach § 33 Abs 4 S 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sei keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern Bestandteil des Verwaltungsverfahrens. Nach § 20 Abs 1 S 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) bestehe ein Anspruch auf Übergangsgeld wie bei berufsfördernden Leistungen nur für die Zeit, in der der Kläger wegen der Teilnahme an der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung kein oder geringeres Arbeitsentgelt erziele. Soweit er unmittelbar zuvor eine Lohnersatzleistung (z.B. Krankengeld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe) erhalten habe, sei diese von dem zuständigen Leistungsträger weiter zu zahlen.

Der Kläger legte am 11.02.2014 Widerspruch ein. Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung sei wegen Art und Ausgestaltung eine Rehabilitationsmaßnahme, für die Übergangsgeld zu erbringen sei. § 33 Abs 3 SGB IX enthalte keine abschließende Regelung, so dass auch andere als die dort genannten Leistungen solche zur Teilhabe am Arbeitsleben sein könnten. Weder im SGB VI noch im SGB IX gebe es eine Verordnungsermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, die näheres zur Eignungsabklärung/Arbeitserprobung regeln könne. Dies sei jedoch erforderlich, weil für den Personenkreis der Arbeitslosengeld- oder Krankengeldbezieher Klärungsbedarf bestehe. In § 45 SGB IX sei nicht hinreichend bestimmt, ob für einen Anspruch auf Übergangsgeld der dort genannte Personenkreis abschließend oder beispielhaft sei. Es gelte daher § 20 SGB VI als spezialgesetzliche Regelung. Hiernach bestünde für Teilnehmer an einer Maßnahme zur Teilnahme am Arbeitsleben ein Anspruch auf Übergangsgeld. Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung sei eine solche Maßnahme, ansonsten würde die Beklagte Leistungen erbringen, die sie nach dem Gesetz nicht erbringen könne oder müsse. Im Übrigen würden Arbeitslose aufgrund ihres Erwerbsstatus diskriminiert, wenn sie kein Übergangsgeld erhielten. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keine Rechtsgrundlage.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 45 Abs 3 SGB IX bestehe für behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen ein Anspruch auf Übergangsgeld wie bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den Zeitraum, in dem die berufliche Eignung abgeklärt oder eine Arbeitserprobung durchgeführt werde und ...

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