Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenerstattung für die Verordnung eines nicht zugelassenen Arzneimittels

 

Orientierungssatz

1. Der Kostenerstattungsanspruch des § 13 Abs. 3 SGB 5 reicht nicht weiter als der entsprechende Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse. Deshalb setzt er voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat.

2. Daran fehlt es für das Arzneimittel Concerta 36 mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung zur Behandlung von Narkolepsie. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung besteht nur dann, wenn das Fertigarzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll.

3. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung auf Kosten der Krankenversicherung i. S. des off label use kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.

4. Die therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels Concerta 36 zur Behandlung der Narkolepsie ist durch wissenschaftlich anerkannte Erkenntnisse aufgrund entsprechender klinischer Untersuchungen derzeit nicht nachgewiesen.

5. Bei der Narkolepsie handelt es sich nicht um einen sog. Seltenheitsfall, der ausnahmsweise eine Verordnung zu Lasten der Krankenkasse zuließe.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. März 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte die Kosten für die Behandlung der Klägerin mit dem Fertigarzneimittel Concerta 36 zu tragen bzw zu erstatten hat.

Die 1971 geborene Klägerin leidet seit Jahren an einer schweren Narkolepsie mit mehrmals täglich auftretenden imperativen Schlafattacken und kataplektischen Anfällen. Die Behandlung dieser Krankheit erfolgt seit April 2004 durch eine Kombination der Fertigarzneimittel (siehe § 4 Absatz (Abs) 1 Arzneimittelgesetz (AMG)) Ritalin und Concerta (36 mg Retardtabletten).

Das retardiert wirkende Fertigarzneimittel Concerta 36 enthält den Wirkstoff (siehe § 4 Abs 19 AMG) Methylphenidathydrochlorid (ASK-Nr 06085-0) - entsprechend Methylphenidat (ASK-Nr 06084-5) - und ist nach dem AMG zugelassen für die Behandlung von Kindern (≫6 Jahre) und Jugendlichen mit Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) (vergleiche (vgl) die vom Sozialgericht Düsseldorf (SG) eingeholte Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 14.09.2005; siehe auch Rote Liste 71 414). Methylphenidat ist ein Betäubungsmittel im Sinne des § 1 Abs 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz (BtMG), siehe Anlage III (zu § 1 Abs 1) zum BtMG). Wirkstoff des nicht retardierten Fertigarzneimittels Ritalin ist ebenfalls Methylphenidat. Ritalin ist außer zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS auch zur Behandlung von Narkolepsie bei Erwachsenen zugelassen, Ritalin LA, mit einer lang anhaltenden Freisetzung desselben Wirkstoffs, dagegen nicht.

Am 22.04.2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, bei der sie krankenversichert ist, die Übernahme der Kosten für das Medikament Concerta 36. Zur Begründung ihres Antrags legte sie ein Attest der Fachärztin für Neurologie Dr. X vom 15.06.2004 vor, wonach bei der Klägerin die Tagesschläfrigkeit durch die Behandlung mit Vigil und später Ritalin nur unwesentlich habe beeinflusst werden können; bei einer Tablette Concerta pro Tag sei die Klägerin nahezu beschwerdefrei.

Die Beklagte holte ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. Unter dem 19.07.2004 kam dessen Gutachter X1 zu dem Ergebnis, dass eine Kostenübernahme nicht empfohlen werden könne. Die Zulassung von Concerta in Frankreich zur Behandlung der Narkolepsie beruhe auf einer unzureichenden Datenlage; es existierten lediglich unkontrollierte Fallserien mit 200 Patienten, die zudem nicht mit dem retardierten Methylphenidat durchgeführt worden seien. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.07.2004 eine Kostenerstattung ab. Concerta sei für die Behandlung von Narkolepsie nicht zugelassen und die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Voraussetzungen für eine zulassungsüberschreitende Anwendung ("Off-Label-Use") seien nicht erfüllt.

Die Klägerin widersprach und wies darauf hin, dass der medizinisch wirksame Bestandteil von Concerta Methylphenidat sei und dass dieser Wirkstoff für die Narkolepsie zugelassen sei, nämlich beim Arzneimittel Ritalin. Die Darreichungsform - ob direkt oder retardiert - dürfe für die Zulassung nicht weiter ausschlaggebend sein.

Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung eines weiteren Gutachtens des MDK vom 08.10.2004 mit Bescheid vom 10.11.2004 al...

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