Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel. Rollstuhl-Bike "Speedy-Duo 2" geht über Ziele des mittelbaren Behinderungsausgleichs hinaus und gehört grds nicht zur Leistungspflicht. keine Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis. Gewährung aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall nicht ausgeschlossen
Orientierungssatz
1. Das Rollstuhl-Bike "Speedy-Duo 2" wird als Hilfsmittel im mittelbaren Behinderungsausgleich eingesetzt. Es soll nicht die verlorene Körperfunktion "Gehfähigkeit" als solche ausgleichen, sondern vielmehr die Auswirkungen der verlorenen Gehfähigkeit (vgl BSG vom 18.5.2011 - B 3 KR 7/10 R = BSGE 108, 206 = SozR 4-2500 § 33 Nr 34, RdNr 32 ff).
2. Das Speedy-Duo 2 mit seinen (elektromotorisch) unterstützten Geschwindigkeiten von 10 bzw 14 km/h geht über die im mittelbaren Behinderungsausgleich verfolgten Ziele hinaus, weil es seiner Zweckbestimmung nach darauf angelegt ist, größere Reichweiten, als im Nahbereich üblich, zu erzielen. Daher betrifft es grundsätzlich nicht ein in die Leistungspflicht der GKV im Rahmen der medizinischen Rehabilitation fallendes allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens.
3. Zur Beantwortung der Frage, ob besondere qualitative Umstände ausnahmsweise die Gewährung eines Rollstuhl-Bikes erfordern, sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalles maßgebend (vgl BSG vom 10.11.2005 - B 3 KR 31/04 R = SozR 4-2500 § 33 Nr 10, RdNr 16).
4. Das Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Abs 1 SGB 5 ist eine Auslegungs- und Orientierungshilfe für die Krankenkassen und Leistungserbringer (vgl BSG vom 24.1.2013 - B 3 KR 22/11 R = BSGE 113, 33 = SozR 4-2500 § 139 Nr 6, RdNr 13), ohne dass die fehlende Aufnahme in das Verzeichnis die Gewährung eines Hilfsmittels im Einzelfall zu Lasten der GKV ausschließt. Die Aufnahme des Speedy-Duo 2 würde jedoch die Auslegungs- und Orientierungshilfe verfälschen, weil der unzutreffende Eindruck entsteht, dass das Mittel regelmäßig von der Leistungspflicht der GKV umfasst ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 16.12.2010 geändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 18.000,- EUR festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Aufnahme eines von der Klägerin hergestellten Rollstuhl-Bikes in das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Die Klägerin ist im Bereich der Entwicklung, Produktion und dem Vertrieb von Rollstuhlzuggeräten und Rollstuhl-Bikes tätig. Das Produkt Speedy-Duo 2 ist ein Vorspann- bzw. Einhängefahrrad für Rollstühle, das mit einem Handkurbelantrieb und einer elektronisch geregelten, elektromotorischen Servounterstützung ausgestattet ist. Diese elektromotorische Servounterstützung unterstützt Geschwindigkeiten von 10 bzw. 14 km/h. Sofern der Nutzer höhere Geschwindigkeiten erreichen möchte, ist er auf seine eigene Körperleistung angewiesen. Das Speedy-Duo 2 kann mittels eines Kupplungssystems selbstständig an einen Rollstuhl an- und abgekoppelt werden.
Am 01.08.2002 beantragte die Klägerin bei den (seinerzeit zuständigen) Spitzenverbänden der Krankenkassen die Aufnahme des (zu diesem Zeitpunkt noch produzierten) Speedy-Duo in das Hilfsmittelverzeichnis. Nach Schriftwechsel zwischen den Beteiligten und zweimaliger Einschaltung des (damaligen) Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände (jetzt: Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes - MDS) aktualisierte die Klägerin unter dem 15.02.2007 den Aufnahmeantrag auf die inzwischen hergestellte Produktversion Speedy-Duo 2. Hierbei handelte es sich nach Angaben der Klägerin um eine im Produktionsablauf übliche Weiterentwicklung des Speedy-Duo.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen lehnten den Antrag auf Aufnahme des Speedy-Duo 2 in das Hilfsmittelverzeichnis ab. Hierzu führten sie u.a. aus: Das Speedy-Duo 2 stelle ein Produkt dar, das in den bestehenden Produktarten des Hilfsmittelverzeichnisses nicht abgebildet werde. Eine Leistungspflicht komme lediglich für Produkte in Betracht, die für die Nutzung von Kindern bestimmt und geeignet seien. Hierüber habe die Klägerin keine Nachweise vorgelegt. Als Hilfsmittel seien grundsätzlich nur solche Gegenstände und Vorrichtungen zum Ausgleich einer Behinderung anzusehen, die erforderlich seien, damit der Versicherte die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens erfüllen könne. Das Grundbedürfnis nach Fortbewegung und Mobilität umfasse nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur die Möglichkeit, Entfernungen zu überwinden, die ein gesunder Mensch üblicherweise zu Fuß zurücklege. Fahrradfahren gehöre grundsätzlich nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Bei Erwachsenen dienten Fahrräder der Überwindung größerer Strecken, der schnelleren Fortbewegung oder dem Einsatz im Freizeitbereich (Bescheid vom 11.05.2007).
Im Widerspruchsverfahren machte die Kläge...