Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeld. Leistungsabsenkung durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 (juris: HBeglG 2011). Anwendbarkeit auf laufende Leistungsfälle. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 (juris: HBeglG 2011) vom 9.12.2010 (BGBl I 2010, 1885) eingeführte Bestimmung des § 2 Abs 2 S 2 BEEG, wonach in den Fällen, in denen das durchschnittlich erzielte monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1200 Euro war, der maßgebliche Prozentsatz für die Bemessung des Elterngeldes von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die das maßgebliche Einkommen den Betrag von 1200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 Prozent abgesenkt wird, gilt auch für laufende Leistungsfälle, weil der Gesetzgeber die zeitliche Geltung der Norm auch auf Verhältnisse erstrecken wollte, die vor dem Inkrafttreten der neuen Gesetzesbestimmung Bestand hatten (vgl BSG vom 26.11.1991 - 1/3 RK 25/90 = SozR 3-2500 § 48 Nr 1 S 4).
2. Die Einführung des § 2 Abs 2 S 2 BEEG ohne Beschränkung auf zukünftige Leistungsfälle verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Art 2 Abs 1 Grundgesetz (juris: GG) iVm Art 20 Abs 3 GG.
3. Ebenso wenig liegt in der Regelung des § 2 Abs 2 S 2 BEEG ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 S 1 GG vor.
4. Die Regelung des § 2 Abs 2 S 2 BEEG verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG.
5. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist dadurch gekennzeichnet, dass er sich nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich verändert (BT-Drs 8/2034, S 34; BSG vom 29.6.1994 - 1 RK 45/93 = SozR 3-1300 § 48 Nr 33 S 67). Dies ist hier der Fall, weil für eine Dauer von zehn Monaten wiederholend Elterngeld pro Monat bewilligt worden ist.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.12.2011 wird zurückgewiesen.
Kosten haben sich die Beteiligten auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Elterngeld und dessen Herabbemessung.
Mit Bescheid vom 22.11.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin Elterngeld für den dritten bis 12. Lebensmonat ihres 2010 geborenen Sohnes M in Höhe von 913,89 EUR für den dritten und 1305,56 EUR für den vierten bis 12. Lebensmonat. Sie ging dabei von durchschnittlichen Erwerbseinkünften von 1948,59 EUR aus. Auf Grund einer durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 (HBeglG 2011) verabschiedeten Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) hob die Beklagte die Bewilligung des Elterngeldes mit Bescheid vom 27.12.2010 teilweise ab dem fünften Lebensmonat - ab dem 28.01.2011 - auf. Für die Zeit vom 28.01.2011 bis zum 27.09.2011 bewilligte sie monatlich nur noch 1266 EUR.
Dagegen legte die Klägerin am 19.01.2011 durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. Zu ihren Gunsten bestehe auf Grund des Bewilligungsbescheides eine Bestandsschutzgarantie. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 48 SGB 10 (SGB X) lägen nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.03.2011 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch zurück.
Die Klägerin hat dagegen am 17.03.2011 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben. Die Voraussetzungen des § 48 SGB X seien nicht erfüllt. Die Elterngeldbewilligung stelle keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar, sondern nur eine konkrete Bewilligung für konkrete Leistungszeiträume. Zudem sei die rückwirkende Änderung auch verfassungsrechtlich unzulässig. Die Abwägung zwischen der Konsolidierung des Bundeshaushalts einerseits und Vertrauensschutzgesichtspunkten andererseits falle zu ihren Gunsten aus.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 09.12.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für die Aufhebung bilde § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung stelle einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar, weil sie über die punktuelle Gestaltung des Rechtsverhältnisses hinausreiche. Die Ergänzung des § 2 Abs. 2 BEEG durch das HBeglG 2011 habe die Verhältnisse geändert, weil sich aus der gesetzlichen Änderung ein für die Klägerin um 38,98 EUR monatlich verminderter Elterngeldanspruch ergebe. Diese Änderung sei trotz des geringen Betrages wesentlich, weil die Beklagte den Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen rechtlichen Verhältnissen nicht mehr hätte erlassen dürfen. Das Gesetz enthalte keine Übergangsregelung. Wie sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe, sei es daher nach dem Willen des Gesetzgebers auch auf laufende Leistungsgewährung anwendbar. Die Regelung sei trotz der damit verbundenen unechten Rückwirkung nicht verfassungswidrig. Das übergeordnete staatliche Interesse an einer Haushaltskonsolidierun...